Interview

„China ist auf dem Weg, sein Atomarsenal zu verdoppeln“

Marshall Billingslea, der US-Sondergesandte für Rüstungskontrolle, gab nach seinem Treffen mit Russlands Vize-Außenminister Rjabkow der "Presse" ein Interview im Amerikahaus.
Marshall Billingslea, der US-Sondergesandte für Rüstungskontrolle, gab nach seinem Treffen mit Russlands Vize-Außenminister Rjabkow der "Presse" ein Interview im Amerikahaus.(c) Akos Burg
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Der US-Sondergesandte Marshall Billingslea wirft China vor, ein geheimes Nuklearwaffenprogramm zu verfolgen. Er habe Russland in Wien Nachrichtendienst-Informationen vorgelegt.

Zehn Stunden lang verhandelte Marshall Billingslea, der US-Sondergesandte für Rüstungskontrolle, im Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse mit Russlands Vize-Außenminister, Sergej Rjabkow, über das letzte Abkommen, das den Beständen von Atomwaffen noch Grenzen setzt. „New Start (Neuer Vertrag) über die Reduzierung strategischer Atomwaffen“ heißt das zehn Jahre alte Abkommen, das am 5. Februar 2021 ausläuft. Es beschränkt die Arsenale Russlands und der USA auf jeweils 1550 Kernsprengköpfe und 800 Trägersysteme. Die Amerikaner wollen China mit an den Verhandlungstisch holen und die Vereinbarung auf kleinere Atomwaffen ausdehnen. Russland wäre damit zufrieden, New Start um fünf Jahre zu verlängern.

Rjabkow und Billingslea zogen eine positive Bilanz ihres Treffens. Beide hatten hochrangige Militärs an ihrer Seite. Der US-Sondergesandte, der sich bei den österreichischen Gastgebern ausdrücklich bedankte, hielt seine Pressekonferenz im Amerikahaus mit General Thomas Bussiere ab, dem Vize-Chef des US Strategic Command. Dabei kündigte Billingslea an, dass eine zweite Gesprächsrunde in Wien für Juli oder August vorbereitet werden soll. Wie „Die Presse“ aus Verhandlerkreisen erfuhr, haben die USA und Russland drei technische Arbeitsgruppen eingerichtet: Die erste soll sich um Verifikation und Transparenz der Rüstungskontrolle kümmern, die zweite um Doktrin und Atomsprengköpfe, die dritte um Herausforderungen im Weltraum. Im Interview gab Billingslea Einblick in die US-Strategie.

Die Presse: Die USA wollen China seit mehr als einem Jahr in die Abrüstungsgespräche über den New-Start-Vertrag mit Russland hereinholen. Als Sie aus dem Palais Niederösterreich, dem Verhandlungsort, ein Foto mit chinesischen Fahnen vor leeren Sitzen posteten, machten sich chinesische Beamte darüber lustig. Der US-Plan scheint nicht aufzugehen.

Marshall Billingslea: Die chinesischen Regierungsbeamten haben sich darüber aufgeregt. Und das ist gut. Das war unsere Absicht. Wir wollen, dass China Folgendes versteht: Es wird international verurteilt werden, wenn es weiterhin nicht seiner Verpflichtung nachkommt zu verhandeln. China darf nicht ohne Konsequenzen und im Eilverfahren sein Atomwaffenarsenal im Verborgenen aufbauen. Die Angelegenheit ist viel zu ernst, um sie zu ignorieren. Wenn uns das Coronavirus etwas gelehrt hat, dann dies: Wir dürfen Chinas Heimlichtuerei und Intransparenz nicht länger dulden. China muss ans Licht kommen. Es muss sich wie ein verantwortungsvolles Mitglied der internationalen Gemeinschaft benehmen.

Es heißt, China verfüge lediglich über rund 300 Atombomben. Die USA haben 20-mal so viele. Habe ich ein falsches Bild von Chinas gegenwärtigen nuklearen Fähigkeiten?

Nein, Ihr Bild ist nicht falsch, aber vielleicht haben Sie noch nicht Einblick in alle Fakten. Die Momentaufnahme ist nicht so wichtig wie die Geschwindigkeit der Veränderung. Die USA haben ihr Atomarsenal um 85 Prozent reduziert und verringern es weiter. China hingegen legt zu, es entwickelt sich rasant in die andere Richtung.

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