Bedrohung unrealistisch

Bundesheer soll das Land nicht mehr verteidigen

Das Bundesheer bei einem Hilfseinsatz bei der Österreichischen Post.
Das Bundesheer bei einem Hilfseinsatz bei der Österreichischen Post. APA/BUNDESHEER/DANIEL TRIPPOLT
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Das heimische Bundesheer wird grundlegend verändert. Statt militärischer Landesverteidigung rücken Katastrophenschutz und Cyberabwehr in den Vordergrund. Die Opposition ist empört.

Das österreichische Bundesheer steht vor einer tief greifenden Umstrukturierung. Die Ressortführung reduziert die militärische Landesverteidigung auf ein Minimum. Das Militär wird auf Cyberdefence und Katastrophenschutz ausgerichtet. Die bei der letzten Bestandsaufnahme vor nicht ein mal einem Jahr gezeichneten Bedrohungsszenarien und Forderungen von zig Mrd. Euro werden vom Tisch gewischt.

Die von Übergangsminister Thomas Starlinger geforderten 16 Mrd. Euro seien "nicht realistisch" und die Bedrohungsszenarien übertrieben, hieß es bei einem Hintergrundgespräch vonseiten der Ministeriumsführung. Die türkis-grüne Regierung habe im Verteidigungskapitel ihres Programms auf die "eintrittswahrscheinliche Bedrohungen abgestellt" und diese sehen keine konventionellen Angriffe auf die Republik vor und auch keinen systemischen Terrorismus, der im Bericht Starlingers beschrieben werde. Als wahrscheinliche Herausforderungen werden dagegen Naturkatastrophen, Migration, Pandemien, Cyberbedrohungen, ein Blackout und einzelne Terrorangriffe gesehen. Die militärische Landesverteidigung werde für unwahrscheinlich erachtet. Diese Fähigkeit wolle man behalten, aber nicht den Umfang. Man wolle sich darauf konzentrieren, der Bevölkerung zu nutzen, militärische Landesverteidigung sei kein Schwerpunkt mehr.

Mehr Geld für Miliz-Übungen

Die Truppenstruktur soll im Wesentlichen erhalten bleiben, es wird jedoch eine weitere Reduktion der schweren Waffen erfolgen und "spürbare Personalreduktionen", die durch natürliche Abgänge bewerkstelligt werden sollen, geben. Der Personalabbau sei notwendig, um die Kosten zu senken. Gleichzeitig soll aber in den Schwerpunktbereichen wie etwa Cyberdefense zusätzliches Personal rekrutiert werden. Bei den Unteroffizieren gebe es besonderen Bedarf.

Zumindest ein Bataillon pro Waffengattung soll bestehen bleiben. Bataillone werden aber nicht aufgelöst, sondern zu Jägerbrigaden umstrukturiert. Nicht ausgeschlossen sind Kasernenschließungen, hieß es. Als Schwerpunkt wird die Wiederherstellung des Milizsystems definiert. Derzeit sei es so, dass das Bundesheer Grundwehrdiener ausbilde und ein bisschen bewerbe, sich für die Miliz zu melden. Die coronabedingte Teil-Mobilmachung der Miliz habe die Schwachstellen aufgezeigt. Es brauche eine Attraktivierung. Jeder Milizsoldat soll seinen Helm zuhause haben. Die Verpflichtung zu Miliz-Übungen soll durch merkbare finanzielle Anreize gesteigert werden.

Mehr Milizsoldaten auch im Inland

Die Führung strebt eine stärkere Ausrichtung des Bundesheeres auf die Miliz aus als jetzt, im Ausland sei man jetzt schon mit 50 Prozent Milizsoldaten gut unterwegs, es fehle aber die Stärkung im Inland. Dass das möglich sei, zeige die Tatsache, dass 30 Prozent der beorderten und mittlerweile wieder entlassenen Milizsoldaten im Corona-Einsatz freiwillig länger geblieben seien und nun im Grenzeinsatz dienen. Einsätze im In- und Ausland sollen durch Milizsoldaten quantitativ wesentlich verstärkt werden, dadurch sollen Grundwehrdiener ausreichend (für zukünftige Milizfunktionen) ausgebildet werden.

Änderungen soll es auch in der Führungsstruktur geben. Hier sind die Pläne aber noch nicht ganz ausgereift. Ziel sei es, schneller zu werden und Abläufe zu verkürzen. Die neun Militärkommanden werden als unverzichtbar definiert und gewinnen an Bedeutung. Wie die Führungsstruktur genau aussehen wird, ist aber noch offen. Die Zentralstelle und die Kommanden der oberen Führung sollen "zusammengeschoben" werden. "Die Brigade-Führungsfähigkeit soll in die Militärkommanden integriert werden."

Angedacht ist weiters eine Definition von "Schutz- und Hilfe-Zonen", die mit Einsatzorganisationen stärker verschränkt werden. Diese "Schutz-und-Hilfe-Zonen" sollen mehrere politische Bezirke, denen ein Bataillon als "Schutz-und-Hilfe-Zonenkommando" zugeordnet wird, zusammenfassen.

Generalstab prüft die Pläne

Alle diese Planungen befinden sich zur Beurteilung im Generalstab, dieser prüft die Realisierung und die Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres. Die Umsetzung soll in einem breiten Prozess unter Einbindung der Militärkommandanten, Brigadekommandanten, Bataillonskommandanten, Kompaniekommandanten und der Miliz umgesetzt werden. Der Zeithorizont dafür ist die Legislaturperiode.

Die Beitragsleistung für eine mögliche EU-Verteidigung bleibt erhalten. An der Anzahl der Auslandseinsätze soll sich nichts Wesentliches ändern.

Opposition ist empört

Die Pläne sorgten für einen Aufschrei der Empörung in den Reihen der Opposition. SPÖ, FPÖ und NEOS sahen in der Verkündung zudem einen Versuch, von der heute stattfindenden Aussage des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-U-Ausschuss abzulenken. Die drei Parteien zeigten sich unisono empört, dass dafür sogar die Sicherheit aufs Spiel gesetzt werde.

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk gibt hingegen zu bedenken, dass es einen rechtlichen "Spielraum" gebe. Gegen eine "schleichende Aushöhlung" - wenn ohne Gesetzesänderungen die Mittel für militärische Landesverteidigung reduziert werden - "laufen die traditionellen Möglichkeiten der verfassungsrechtlichen Kontrolle weitgehend leer". Allenfalls möglich wäre da ein Misstrauensvotum oder eine Ministeranklage. Aber dafür ist eine Mehrheit im Nationalrat nötig, und somit die Zustimmung zumindest einer Regierungspartei.

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