Coronagespräche

"Eigensinnig" Wien: „Der Weg ist nun in alle Richtungen offen"

Stefanie Hofer und Toni Woldrich von "Eigensinnig" Wien.
Stefanie Hofer und Toni Woldrich von "Eigensinnig" Wien.Eigensinnig - Wien
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Warum die Gründer Stefanie Hofer und Toni Woldrich eine Beschleunigung inmitten der Entschleunigung erlebten und wie es in der Modewelt weitergehen kann.

2012 gründeten Stefanie Hofer und Toni Woldrich ihr Label „Eigensinnig - Wien“ und eröffneten am Ulrichsplatz im 7. Bezirk ihr Geschäft. „Eigensinnig" kreiert und kuratiert Avantgardemode in Schwarz. Für ihre eigene Kollektion werden Materialien wie Leinen, Baumwolle und Seide, Merinowolle, Yak, Wollstoffe und Kaschmir sowie Leder und eigens für sie hergestellte Knöpfe aus Metall, Horn oder Holz verwendet. Alle Stücke sind handgefertigt. Das „Schaufenster“ hat die beiden zum Gespräch gebeten.

Wie gehen Sie mit der derzeitigen Situation um?

Der Schriftsteller Antonio Gramcsi hat es gut ausgedrückt: „Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.“ Genau so fühlt es sich für uns an. Wir befinden uns in einem Zwischenraum, in dem die Vergangenheit noch präsent, die Zukunft noch ungreifbar und die Gegenwart ständig im Fluss ist.

Gleichzeitig sind wir nicht dafür bekannt, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir können nur losgehen von dem Ort, an dem wir uns befinden. Was geschehen ist, ist für immer in der Vergangenheit eingespeichert und ihr eingeschrieben. Sie lässt sich nicht ändern. Aber wir können an ihr wachsen, aus ihr lernen, ihr etwas Positives abgewinnen.

Mit dem ersten Tag des Lockdowns haben wir begonnen, an der neuen Website und dem neuen Online-Shop zu arbeiten. Wir haben die sogenannten Leerzeiten, in denen unser Shop geschlossen war, genutzt, um uns in die Zukunft vorzudenken – ohne dem Impuls nachzugeben, uns von den Geschehnissen überwältigen zu lassen. So erlebten wir eine Beschleunigung inmitten der großen Entschleunigung, als hätte sich die „vita activa“ in die „vita contemplativa“ hineingeschummelt.

Wie kann es in der Mode weitergehen? Was wird sich Ihrer Meinung nach verändern?

Wir betrachten Mode nie als singuläres Business. Die Mode ist eingebettet in verschiedene gesellschaftliche Dimensionen der Ökonomie, Technologie, Kultur sowie der Sozialstruktur, die alle miteinander verbunden sind. Kommt es zu einer großen Änderung einer Dimension, hat dies Auswirkungen auf alle anderen Dimensionen.

Was wir mit Gewissheit sagen können, ist, dass wir aktuell an einer Schwelle stehen und der Weg in alle Richtungen offen ist. Die Stoßrichtung geben in erster Linie die großen Luxushäuser vor. Die Fast-Fashion-Industrie wird vermutlich ihren eigenen beschleunigten und wenig nachhaltigen Weg bestreiten. Dazwischen liegen wir, andere Designerlabels und unabhängige Stores, die noch nach den richtigen Antworten suchen.

Ob die Corona-Krise zu einem Paradigmenwechsel führt, der ganze Branchen maßgeblich verändert, wird wohl erst die Zeit zeigen. Für das Jahr 2020 trifft die Chaostheorie wohl den Nagel auf den Kopf. Dass „der Flügelschlag eines Schmetterlings am anderen Ende der Welt einen Tornado auslösen kann,“ hat uns das Corona-Virus nun demonstriert. Es ist fast schon ironisch, dass unser Frühjahrsprogramm inspiriert war von der Chaostheorie und wir uns schon letzten Herbst damit auseinandergesetzt haben. Dass es so weit kommen würde wie jetzt, hätten wir uns natürlich nie gedacht.

Geschäfte dürfen jetzt wieder offen halten, ist das eine Erleichterung? Können Sie schon abschätzen, wie sich die Situation entwickelt?

Die letzten Monate haben uns einiges abverlangt, sie waren sehr aufreibend. Und wie so viele andere auch spüren wir den Lockdown und alle Konsequenzen daraus deutlich.

Gleichzeitig tasten wir uns im dicken Nebel voran. Wir können noch nicht abschätzen, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Viele unserer Kunden sind Künstler, Schauspieler, Musiker oder haben selber ein Kleinunternehmen. Sie sind von der Krise genauso betroffen wie wir.

Unser Lager ist voll mit Frühjahr-Sommer-Mode, weshalb wir nun schon mit dem Sommer-Sale gestartet haben.

Wie wichtig ist der Online-Shop geworden? Wie hat sich der Kundenzuspruch verändert?

Viele Kunden, die nie online eingekauft haben, haben nun zum ersten Mal während des Lockdowns bestellt und so auch das Service schätzen gelernt. Wir haben den neuen Online-Shop als virtuelle Verlängerung unseres Showrooms konzipiert, als einen Raum, in dem wir alle unsere „Kostbarkeiten“ versammeln – in denen sich unsere Gedanken, Worte, Bilder und Mode gegenseitig bereichern und aufeinander einwirken und somit die typisch eigensinnige Atmosphäre erzeugen, in der unsere Kunden gerne verweilen, sich umsehen und sich inspirieren lassen.

Wir bieten unseren Kunden in Wien die Möglichkeit der Lieferung mit dem Fahrradboten innerhalb von 3 Stunden. In Österreich innerhalb von 1 Tag per Express-Lieferung. Dabei stehen wir auch per Videochat für Beratung zur Verfügung und versuchen so, ihnen das Service zu bieten, das sie sonst nur vom Showroom kennen.

Gibt es Modelle, die jetzt besonders gern gekauft werden?

Wir sind immer schon bekannt für zeitlose Mode. Unseren Kollektionen haftet nie ein saisonaler Stempel an. Das liegt unter anderem auch daran, dass wir hauptsächlich Avantgardemode in Schwarz führen. Denn die Farbe Schwarz steht für Kontinuität und Halt in einer Welt, die nicht anders kann, als sich selber ständig zu beschleunigen. Schwarz lässt sich nicht in Schubladen legen oder in Register pressen. Sie ist androgyn, männlich und weiblich zugleich. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Design, den Schnitt, die Silhouette und lässt gleichzeitig die Persönlichkeit des Trägers durchscheinen.

Kollektion
KollektionEigensinnig Wien

Die letzten Wochen und Monate waren Zeiten der Abwesenheiten, Einschränkungen und Entbehrungen. Dementsprechend sehnen sich die Menschen nach Freiheit. Nach gefühlter und persönlicher Freiheit. Somit sind zum Beispiel bei Damen besonders weite Silhouetten gefragt, die nicht einengen.

Welche Art von Unterstützung würde Ihnen jetzt besonders helfen? Bekommen Sie Unterstützung aus einem der Hilfsfonds?

Die größte Unterstützung, die wir bekommen, ist die Wertschätzung, die uns von unseren Stammkunden aus dem In- und Ausland entgegengebracht wird.

Kann die Krise auch eine Chance für eine positive Entwicklung darstellen? Wie könnte dies aussehen?

„Eine Krise fördert die Kreativität, viele Krisen zerstören sie“, sagte der Aphoristiker Gerhard Uhlenbruck einmal. Welche schöpferische Kraft diese Krise entwickeln wird, können wir jetzt vielleicht nur erahnen. Zumal sie noch (lange) nicht vorbei ist. Vermutlich stehen wir erst am Anfang einer langanhaltenden Krise.

Vielleicht liegt die schöpferische Kraft der Krise darin, das zerstört zu haben, was ohnehin nicht mehr funktioniert hat – wie der allgegenwärtige Produktions- und Konsumzwang in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft, in der Effizienz und Schnelligkeit mit völliger Selbstverständlichkeit zu Handlungsmaximen hochstilisiert werden. 

Für uns gilt es, unseren „Stein“ weiter rauf zu rollen, um über den Berg zu kommen. Dann lassen wir uns überraschen, wie hoch der nächste Berg sein wird. Hoffentlich wird der Anblick des Gipfels, den es zu erklimmen gilt, neue Ideen in uns wecken.

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