Quergeschrieben

Lassen wir doch die Sau raus, als wäre Corona bloß eine Biermarke

Wenn der Staat den Bürgern mehr „Eigenverantwortung“ in Sachen Corona überträgt, klingt das vor allem nach Entsorgung seiner Verantwortung.

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Wer sich in Wahrnehmung der von der Bundesregierung nun regelmäßig eingeforderten „Eigenverantwortung“ nicht entscheiden kann, ob er (oder sie) im Sommer ins Ausland reisen soll, stößt bei eben jener Regierung auf eine verblüffende Vielfalt an Antworten. Während der Außenminister nicht müde wird zu ermahnen, alle nicht dringend erforderlichen Auslandsreisen „zu unterlassen“, und darauf hinweist, dass Grenzschließungen „jederzeit wieder möglich“ sind, sieht der Gesundheitsminister das anders. „In Wirklichkeit ist es zweitrangig, ob ich mich mit Verantwortung in Berlin, im Salzkammergut oder in Caorle bewege. Das Entscheidende ist, wie ich mich bewege,“ gab Rudolf Anschober zu Protokoll. Also was jetzt bitte? Könnte die Regierung die Freundlichkeit haben zu erklären, warum Auslandsreisen zu unterlassen sind, wenn zweitrangig ist, ob man sich im Salzkammergut oder in Caorle bewegt? Eigenverantwortung ist nur auf der Basis gesicherten Wissens möglich.

». . . wie in der Wiener U-Bahn immer mehr Menschen, meist jüngere Männer, die Maskenpflicht ignorieren.«

Die etwas wirr angelegte Doppelconference der Herren gibt einen Hinweis darauf, wie inhaltsleer in der Praxis das hehre Mantra von der „Eigenverantwortung“ der Bürger bei der Pandemie-Bekämpfung ist. Grundsätzlich ist Eigenverantwortung, die an die Stelle obrigkeitlicher Anordnungen tritt, ja eine wunderbare Sache. Allerdings nur unter zwei Voraussetzungen: Erstens, dass sie die Ziele der Seuchenbekämpfung nicht behindert. Und zweitens, wenn sie nicht bloß eine gewisse Verlegenheit der Regierenden angesichts einer vom Lockdown psychisch ermatteten Bevölkerung camouflieren soll, die einfach keine Einschränkungen mehr akzeptieren will.

Beides scheint angesichts der uns huldvoll von der Obrigkeit übertragenen „Eigenverantwortung“ fraglich. Wer beobachtet, wie etwa in der Wiener U-Bahn immer mehr Menschen, meist jüngere Männer, die Maskenpflicht ignorieren, wie am Donaukanal unter den Augen der Polizei gefeiert wird, als wäre Corona nur eine Biermarke, wie Gesundheitspolitiker an Riesendemos teilnehmen, der wird leise Zweifel an der Tragfähigkeit des Konzepts „Eigenverantwortung“ nicht so einfach abschütteln können. Normen zu setzen und dann – was natürlich nichts, aber rein gar nichts mit der nahenden Wien-Wahl zu tun hat – dabei zuzusehen, wie sie missachtet werden, mag ein österreichischer Weg sein; ob er zur Bekämpfung einer Pandemie ideal ist, werden wir in ein paar Monaten wissen.

Zunehmend drängt sich angesichts dieser Faktenlage der Eindruck auf, das mit der Eigenverantwortung sei weniger der Einsicht der Regierenden in die Weisheit der Regierten geschuldet, sondern einer gewissen Verlegenheit. Denn so sehr sich die Bevölkerung am Anfang der Krise nach strengen Regeln gesehnt hat, so sehr sind diese jetzt verhasst. Für eine stark umfragegetriebene Regierung bietet das Konzept „Eigenverantwortung“ eine gute Möglichkeit, dieser Stimmungslage nachzugeben, ohne dafür die Last der Verantwortung schultern zu müssen, wenn es schiefgeht. Eigenverantwortung, so ist das eben.

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