Reportage

Bühnenkuss durch Plexiglas: Proben in Zeiten des Coronavirus

Mit Maske und Schild: Alexandre Beuchat, Rebecca Nelsen und Chor proben die „Lustige Witwe“.
Mit Maske und Schild: Alexandre Beuchat, Rebecca Nelsen und Chor proben die „Lustige Witwe“. (c) Caio Kauffmann
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In der Volksoper wird wieder geprobt – unter ungewohnten Bedingungen. Wie es ist, in eine Maske zu hineinzusingen, wie Abstandsregeln manche Szenen intensiver machen und warum die Darsteller den Mund nicht zu weit aufreißen dürfen.

Die Festgesellschaft ist versammelt. Alle Blicke sind auf Rebecca Nelsen gerichtet. Als lustige Witwe streift die Sopranistin in Jeans durch das Art-déco-Bühnenbild, während sie vom Waldmägd'lein Vilja singt und dem „liebkranken Mann“, dem „die Sinne vergangen fast sind“. Graf Danilo (Alexandre Beuchat) hängt an ihren Lippen und an ihrem Schleier, den sie langsam um ihn schlingt. Da – ein neckischer Blick, ein Zug am seidenen Stoff, ein flüchtiger Kuss! Plexiglas trifft auf Polymerfaser: Nur ganz kurz berühren sich die Masken der Sänger, dann nimmt das Fest wieder seinen Lauf.

Probenalltag in Coronazeiten: Dazu gehört auch der Mund-Nasen-Schutz, der hier in der Volksoper vor allem in Form gebogener, am Kinn sitzender und mit Gummischlingen an den Ohren befestigter Plexiglas-Schilder getragen wird. Seit Anfang Juni wird wieder für die Saisoneröffnung im Herbst geprobt. Die Covid-Lockerungsverordnung, die das möglich macht, ist vage formuliert – im Detail ist es den Institutionen überlassen, das Infektionsrisiko auf praktikable Weise zu minimieren. In der Volksoper heißt das: Fieberkontrollen am Bühneneingang, wöchentliche PCR–Tests, Plexiglaswände im Orchester, Abstand, wo es künstlerisch möglich ist. An jeder Ecke sind Desinfektionsspender aufgestellt. Zudem sind Chor und Technik in zwei Teams geteilt, die einander nie begegnen: Die Gästeschar, die sich beim Vilja-Lied um Nelsen tummelt, ist vorerst nicht vollzählig.

Was so alles aus dem Mund fliegt

Und es wird eben Maske getragen. „Das ist wirklich gewöhnungsbedürftig“, sagt Nelsen, die ihr Rollendebüt als Hanna Glawari gibt. „Es schallt zurück. Es ist, als würde man in eine Akustikschale hineinsingen – das klingt megalaut.“ Außerdem verfange sich ihr Schleier gern in der Maske. „Ich könnte nicht sagen, dass es bequem ist – aber es ist ein Segen, wieder proben zu dürfen.“

So sehen es auch die Darsteller, die zeitgleich auf der Probebühne – in Straßenkleidung, mit einem Bademantel und einem Reifrock als Kostümbehelf – eine Szene aus „Kiss Me, Kate“ proben. Ein bisschen heiß werde es schon unter der Maske, immer wieder laufe das Plastik an, zudem dürfe man den Mund nicht zu weit aufreißen – weil das Visier sonst an der Nase hängen bliebe. Auch eine erhellende Nebenwirkung habe die Vorrichtung: Da sehe man nämlich, was bei einer Performance „so rauskommt“ aus dem Mund. „Man gewöhnt sich an alles“, meint Ursula Pfitzner, die im Musical die Lilli/Kate spielt.

Theoretisch könnte bei genug Abstand zwischen den Darstellern auch auf die Maske verzichtet werden, erklärt Andreas Lichtenberger (er spielt Fred/Petruchio) – doch bei dieser Inszenierung sei das kaum möglich: „Unser Stück ist Nahkampf pur.“ Amüsiert erzählt er, wie jeder im Haus seine Maske den eigenen Bedürfnissen gemäß modifiziert hat: Ein Kollege mit „Kirk-Douglas-Gedächtnis-Kinn“ habe sich ein extra Gummiband montiert, weil die Maske sonst immer hochgerutscht sei, Lichtenberger selbst hat eine Schicht Verbandkleber um das Kinnteil gewickelt. Wie sich unterschiedliche Bartlängen auf den Halt auswirken, haben die Herren des Ensembles auch bereits eruiert: Am besten ist Stoppelbart!

Doch auch die inhaltliche Arbeit sei durch die Coronamaßnahmen beeinflusst, sagt Regisseur Johannes von Matuschka, der die Eröffnungspremiere im Herbst – das Musical „Sweet Charity“ – inszeniert: „Es führt zu einer größeren Achtsamkeit.“ Dass man immer ans Abstandhalten denken müsse, erhöhe die Konzentration der Beteiligten. Eine Kussszene, in der das Amüsiermädchen Charity dem Steuerberater Oscar ziemlich nahe kommt, spart sich Matuschka vorerst bewusst für den nächsten Probenblock im August auf: „Da denken wir uns jetzt einfach, wo es noch hingehen muss. Das Interessante ist die psychologische Dimension: In Szenen, in denen eine Figur in die Einsamkeit geht oder wo es ein Drängen nach einer anderen Figur gibt, wirkt das Abstandsgebot fast wie eine Unterstützung.“

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