Einspruch

Bildersturm gegen den „weißen Jesus“

Ein US-Aktivist ruft auf, alle Bilder und Statuen vom „white Jesus“ abzureißen. Was meint er damit nur?

Alle Statuen, Wandmalereien, Kirchenfenster mit „weißem Jesus“ drauf seien „rassistische Propaganda“, „eine Form weißer Dominanz“, hat Shaun King diese Woche auf Twitter verkündet: „Reißt sie runter.“ Der 41-Jährige war in den vergangenen Jahren einer der bekanntesten Aktivisten der „Black Lives Matter“-Bewegung, ist allerdings – auch bei führenden Figuren derselben – etwas in Verruf geraten durch Ungereimtheiten bei seinen Fundraising-Aktivitäten. Was aber seine Forderung betrifft: Tja, da wäre man eine Zeit lang beschäftigt, immerhin betrifft das fast alle Kirchen auf der Welt. Wie viele seiner 1,1 Millionen Follower ihn wohl beim Wort nehmen werden? Der Widerspruch war auch dort groß.

Wenn man wenigstens wüsste, was ein „weißer Jesus“ ist. Gehören Jesusstatuen aus weißem Material dazu? Die größten sind so gut wie alle weiß, ob sie nun in Südamerika oder Asien stehen. Ein Vietnamese hat den Christus von V?ng Tàu gemacht, ein Indonesier den Christus von Manado. Alle strahlend weiß. Oder was tun mit dem Faktum, dass Weiß schon in der Antike als Farbe des Lichts galt, im Judentum als Farbe der Reinheit? Die Symbolik färbte das Christentum. 2008 zeigte ein Plakat zur Schau „Gesicht des Bösen“ in Bremen einen weißen Jesus, der auf eine nackte, schwarzhäutige Gestalt (Teufel) einschlägt: Es stammte von einem Nigerianer.

Oder geht es nur um halbwegs naturalistische Bilder, die Jesus mit heller Hautfarbe zeigen (obwohl olivfarben realistischer wäre)? Im Protest gegen den „weißen Jesus“ geht es nicht um Realismus, sondern Repräsentation, demzufolge müsste man anderen Hautnuancen, ob thailändisch oder mongolisch, genauso zu ihrem Recht verhelfen.

Ist auch der Wunsch nach kultureller Vertrautheit verwerflich? Einem „weißen“ Jesus fühlten sich europäische Gläubige näher. Im frühmittelalterlichen „Book of Kells“ ist Jesus rothaarig. Auf äthiopischen Ikonen sieht er äthiopisch aus. Von Haiti bis Thailand haben Maler auch früherer Zeiten Jesus den dort lebenden Menschen ähnlich gemacht.
Trotzdem ging Jesus natürlich vor allem als „Weißer“ um die Welt, mit allem damit verbundenen Unrecht. Aber das betrifft nicht nur „Schwarze“. Was ist etwa mit der langen Tradition von Gemälden, die einen hellen, blonden Jesus zeigen, umgeben von dunklen Gestalten – „orientalisch“ gekleideten Juden?

Es kann sinnvoll sein, hier und da über die Existenz eines symbolisch bedeutsamen Denkmals zu streiten, das unmittelbar mit einem Unrecht zu tun hat. Nimmt man sich aber systematischer die sichtbaren Überreste der Geschichte vor, wird man nicht mehr fertig, bis man so gut wie alle entfernt hat. Und dann ist die Geschichte immer noch da.

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