Die Landesverteidigung sei nicht mehr so wichtig, meint eine neue Strategie. Schnee schaufelnde Soldaten dürfen es auch nicht sein, sollte man meinen.
Eine kurze erklärende Einleitung zur aktuellen Debatte um das österreichische Bundesheer, die in hässlicher Regelmäßigkeit seit Jahrzehnten geführt wird und von innenpolitischer Absurdität geprägt wird: Am Tag vor der Befragung von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Untersuchungsausschuss lädt ein hoher Militär aus dem ÖVP-geführten Verteidigungsressort ein paar Journalisten ein, um sie über eine neue grundlegende Strategieänderung des Heeres zu informieren. Die zuständige Ministerin ist nicht dabei. En passant wurde demnach die Landesverteidigung als zentraler Sinn des Heeres aufgegeben, stattdessen wurden Katastrophenschutz, Abwehr von Cyber-Attacken und Pandemien an die erste Stelle im Aufgabenheft gehoben. Daraufhin empört sich der Bundespräsident, der einst Grünen-Chef war, und bestellt die ÖVP-Ministerin zum Rapport ein. Diese muss danach zurückrudern und relativieren. Das Bundesheer wird im Bedarfsfall das Land weiter verteidigen. Mit den vorhandenen Ressourcen.
Davor hatte die Ministerin angesichts der Covid-19-Pandemie erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik die Miliz einberufen und feststellen müssen, dass diese auf dem Papier besser aufgestellt ist als in der Realität. Höflich formuliert. Vor der ÖVP-Ministerin hatte ein unparteiischer Minister mit Bundespräsidenten-Nähe mehrmals gewarnt, dass das Heer aufgrund eklatanten Finanzmangels de facto nicht mehr einsatzbereit sei. Vor diesem hatten das ein FPÖ- und ein SPÖ-Fachminister, je mit Prominenz in ihren für die Partei jeweils wichtigen Bundesländern, weit weniger drastisch gesehen. Österreich ist übrigens ein angeblich neutrales Land sowie durch Verfassung und Staatsvertrag zur Selbstverteidigung verpflichtet. Einst trat die ÖVP für die Einführung eines Berufsheeres ein, die SPÖ verteidigte die allgemeine Wehrpflicht. Im Sog einer der vergangenen, wieder einmal angeblich alles entscheidenden Wien-Wahlen vertauschten die beiden Parteien diese Position, die ÖVP hatte den besseren Riecher, seither müssen junge Männer weiter verpflichtend zum Heer (oder zum Zivildienst). Und in grauer Urzeit hatte sich sogar ein gewisser Helmut Zilk mit einer Heeresreformkommission die Stimme heiser geredet.
Dieser fast schon kabarettistische Umgang mit der Sicherheit dieses Landes mag in Schönwetterzeiten als Lokalkolorit ausblendbar sein. In den vergangenen Monaten zeigte sich aber deutlich, wie wichtig eine funktionierende Sicherheitsinfrastruktur im Ernstfall sein kann. Genau darin liegt der ernste Kritikpunkt am abrupten Strategiewechsel in Klaudia Tanners Ressort: Ja, ein redimensioniertes Bundesheer sollte sich stärker auf moderne Bedrohungen wie Pandemien oder Blackouts einstellen, anstatt sich auf mögliche Panzerschlachten vorzubereiten. Aber, und dieses „aber“ kann man nicht laut genug anbringen: Bei den Bürgerkriegen in den Balkanstaaten in den 1990er-Jahren oder dem noch immer schwelenden blutigen Konflikt in der Ostukraine sollte jeder Analyst in den Nachrichtendiensten des Heeres bemerkt haben, dass Österreich weiterhin funktionierende Territorialtruppen für eine konventionelle Bedrohung brauchen wird. Regionale Konflikte und militärische Auseinandersetzungen sind keineswegs Vergangenheit. Das nicht zu erkennen, lässt auf ein gewisses Sicherheitsrisiko im Verteidigungsressort schließen.
Fest steht, dass ein konzentrierter Strategieprozess über Österreichs Sicherheitspolitik dringend notwendig ist. Soll das Land weiter der militärische Trittbrettfahrer sein, der sich nicht einmal mehr einen Helm leisten will, oder doch eine kleine Verantwortung übernehmen? Wenn schon nicht für andere EU-Länder, dann zumindest für die eigene Sicherheit? Krisenzeiten sind immer auch die Phase, in denen Defizite und Probleme deutlich zu sehen sind. Krisenzeiten sind leider auch die Phase von frommen Wünschen und leeren Ankündigungen, in Zukunft alles anders und besser zu machen. Wenn es um das Heer geht, wäre das eigentlich nicht so schwer. Alles wäre besser als die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.