Motorrad

Quer ist mehr: Die Moto Guzzi zum Verreisen

Freundin der Passstraße: Moto Guzzi V85 TT in Reisemontur „Travel“.
Freundin der Passstraße: Moto Guzzi V85 TT in Reisemontur „Travel“.(c) Kurt Pinter Photography
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Von Pass- und Schotterstraßen versteht man bei Motor Guzzi seit der Stelvio etwas, deren Nachfolgerin kommt mit 850-ccm-Motor – und Kardanantrieb als Alleinstellung unter den Reise-Enduros der mittleren Preis- und Gewichtsklasse.

Wien. Reise-Enduros, das heißeste Marktsegment – immer noch, oder, wie's scheint, jetzt erst recht. Wer von den Herstellern nichts Aufgebocktes im Programm hat, darf gleich weiterschlafen. Auf den Passstraßen ist längst ein bunter Tross der Gattung unterwegs – aller Marken und Zuschnitte. Angeführt wird er von der BMW R1250 GS, dem europaweiten Bestseller (nicht nur im Segment übrigens, sondern Zweirad insgesamt).

Auch Moto Guzzi war früh, genau ab 2008 dabei. Mit der Nachfolge der 2016 eingestellten Stelvio (1200-ccm-V2) sattelte man im Vorjahr mit der V85 TT auf 850 Kubikzentimeter um, mithin in die Mittelklasse des Segments. Auch dort wartet eine BMW, die F 850 GS – statt von einem Boxer von einem Parallel-Twin angetrieben, die 92 PS gelangen per Kette zum Hinterrad. Moto Guzzis TT (für „Tutto Terreno“, sprich: jedes Terrain) hat damit die Sonderstellung eines Kardanantriebs wie die Großen inne – und natürlich jene feine Prise Italianità, die man auch als Statement gegen zu viel Motorenwerke auf den Straßen sehen mag.

Was bei BMW und einigen anderen unter „Adventure“ läuft, heißt bei Moto Guzzi „Travel“: die reisefertige Ausstattung, meist (und im Fall der V85 TT) ein größeres Windschild und einen Satz Seitenkoffer (der größere 37 Liter groß!) umfassend. Auch Heizgriffe, Zusatz-LED-Scheinwerfer und ein Multimedia-Bordsystem, das sich per Bluetooth mit dem Handy verbündet, zählen dazu. Die besonders hübsche Lackierung nicht zu vergessen: Augenschmaus „Sabbia Namib“, matt schimmernd aufgetragen, gibt es nur für die „Travel“.

Der Guzzi-Adler als Tagfahrlicht im Doppelscheinwerfer: Nettes Detail der stimmig angerichteten V85 TT, als "Travel" mit Zusatzleuchten und Kofferset.
Der Guzzi-Adler als Tagfahrlicht im Doppelscheinwerfer: Nettes Detail der stimmig angerichteten V85 TT, als "Travel" mit Zusatzleuchten und Kofferset.


Bringen wir gleich den Minuspunkt hinter uns: Das Windschild mag größer sein, aerodynamisch ausgefeilt ist es nicht, seine schützende Wirkung ist begrenzt. Und wer es verstellen will, muss die Sitzbank abnehmen und zu einem der beiden dort platzierten Inbusschlüssel greifen: D. I. Y.-Charme als harter, vielleicht auch reizvoller Kontrast zum Digitalaufgebot.

Dass der quer eingebaute V2 bei 3000 Touren einen kleinen Absacker im Drehmomentverlauf aufweist, ist Guzzi-typisch und wohl der Bauweise geschuldet, die dafür einzigartig ist und in der Menge wohltuend hervorsticht.

Das Rütteln um die Längsachse immerhin hat man dem Motor abgewöhnt. Mit 80 PS und ebenso vielen Newtonmetern steht er gut im Saft, gibt sich oben herum schön zornig und im Mittelbereich perfekt Cruising-geeignet, den geschmeidigen Kardanantrieb ergänzend. Wie bei jeder fabriksneuen Guzzi hat man das Gefühl, Teile aus dem Zubehörprogramm warten schon auf den Einbau. Mit Akrapovič-Auspuff, der gemäß Prüfstandsprotokoll den Drehmomentverlauf etwas zu glätten vermag, wäre der Anfang gemacht.

Glänzendes Fahrwerk, souveräne Bremsanlage, solide 80 PS des V2: Moto Guzzi V85 TT Travel.
Glänzendes Fahrwerk, souveräne Bremsanlage, solide 80 PS des V2: Moto Guzzi V85 TT Travel.



Highlight der 14.999 Euro teuren V85 TT ist das Fahrwerk, das im mindestens 229 kg schweren Kofferträger die Kurvengazelle hervorkehrt; jedenfalls bemerkenswert, wie präzise und lustvoll man mit dieser Art von Motorrad in Biegungen tauchen darf, statt sie nur hinter sich zu bringen. Auch ein Verdienst der Bremsanlage, die mit einem kleinen Druck auf den Fußbremshebel kleinere Schätzfehler augenblicklich entschärft.

Offroad haben wir es mit einer Schotterstraße bewenden lassen, der entsprechende Fahrmodus deaktiviert das ABS hinten. An die Grenzen von Fahrer und Gerät mag man sich sachte herantasten, der feine Lack wird's danken. (tiv)

Compliance-Hinweis: Die Reisen zu Produktpräsentationen wurden von den Herstellern unterstützt. Testfahrzeuge wurden kostenfrei zur Verfügung gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2020)

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