Change

Veränderung: Die große Chance hinter dem geistigen Muskelkater

Der "Veränderungsmuskel" lässt sich trainieren.
Der "Veränderungsmuskel" lässt sich trainieren.Pixabay
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Schockerlebnisse wie Krankheit, Kündigung oder die Covid-19-Pandemie seien oft Auslöser von beruflichen Veränderungen, sagt Organisationspsychologin Irina Nalis-Neuner.

Jetzt ist die Zeit für Veränderung, jetzt stehen die Chancen gut, Dinge anders und andere Dinge zu tun. Doch viele würden sich nach diesen außergewöhnlichen Wochen nur wünschen, in den Alltag, etwa vom Home-Office ins Büro zurückzukehren, sagt Irina Nalis-Neuner. Die Arbeits- und Organisationspsychologin, die an der Universität Wien lehrt und forscht, vergleicht die Situation mit einer Landschulwoche: Man hat gesehen, was möglich ist. Aber das war es dann auch schon.

Organisationen sollten jetzt die Eindrücke ihrer Mitarbeiter sammeln. Denn „alle haben neue Ideen, alle haben in diesen Wochen etwas Neues an sich und an den anderen entdeckt“, sagt Nalis-Neuner. Jetzt bestehe die Chance, die Fülle an Ideen, beispielsweise in einem Austauschfrühstück oder in Reflexionstagebüchern zusammenzutragen und aus ihr zu schöpfen. „Für alle, die den Schock einfach nur übertauchen, den der Shutdown gebracht hat, war die Erschöpfung umsonst.“

From shock to shift

Dasselbe gelte auch auf individueller Ebene. „Schockerlebnisse wie eine Krankheit, Fehlgeburt, private Trennung, Kündigung – aber auch die Covid-19-Pandemie sind oft Auslöser von beruflichen Veränderungen.“ Mit den Professoren Christian Korunka (Uni Wien) und Bettina Kubicek (Uni Graz) erforschte sie den Weg „From shock to shift“, also was zwischen einem einschneidenden Erlebnis und dem Karriere- bzw. Jobwechsel passiert. Schocks, sagt Nalis-Neuner, „setzen zwangsläufig Nachdenkprozesse in Gang und zwingen uns zum Handeln.“

Da stelle sich – neben dem existenziellen Thema – die Frage nach den Werten. Was ist mir wichtig: Der Status, den eine Tätigkeit vermittelt, oder der Sinn? Welche Rolle spielen Umfeld und Struktur: Möchte ich (un-)selbstständig sein? Und auch: Was bedeutet Erfolg für mich?

Irina Nalis-Neuner
Irina Nalis-NeunerUniversität Wien

Diese Fragen, aber auch die ganz natürliche Abwehrhaltung, die Lage nicht wahrhaben zu wollen, die Situation zu bekämpfen, am Status quo festhalten zu wollen, führten zu einem „geistigen Muskelkater“, wie Nalis-Neuner ihn nennt. In dieser Phase würden sich jetzt viele Menschen befinden, die sich wegen einer Kündigung oder dem eigenen Veränderungswunsch viele Gedanken machten.

Menschen, die schon mehrere Schocks erlebt haben, wie mehrfache Arbeitslosigkeit, geraten zwar teilweise in eine Art Veränderungsmüdigkeit (change fatigue). Häufiger, sagt Nalis-Neuner, hätten sie aber ihren „Veränderungsmuskel“ durch erfolgreich überwundene Schocks gut trainiert.

„Karriere ist ein Dialog“

Sie hätten mit ihrer Veränderungsbereitschaft auch gelernt, Zufällen Platz zu geben: „Karriere ist kein Monolog, in dem man sich selbst vorsagt, wann man wo wie landet, sondern sie entwickelt sich im Dialog mit dem Umfeld und auch der eigenen Entwicklung.“

Wer Brüche im Lebenslauf aufweise, glaubt oft, etwas falsch gemacht zu haben. Doch den psychologischen Vertrag, ein ganzes Berufsleben für einen Arbeitgeber tätig zu sein, gebe es nicht mehr. Daher sei es auch kein Problem, wenn der rote Faden im Lebenslauf nicht direkt zu sehen ist: „Die Mehrheit der Berufswege verläuft über Höhen, Tiefen und Seitenstraßen. Es ist nicht die Frage nach den Brüchen im Lebenslauf, die zählt, sondern nach den Brücken, die man über Abgründe baut.“

Zur Person

Irina Nalis-Neuner lehrt und forscht am Institut für Ange- wandte Psychologie der Universität Wien und arbeitet im Team „Arbeit im Wandel“. Die „Career Changerin“ ist seit vielen Jahren in der strategischen Kommunikations- und Organisationsberatung tätig.

Schwerpunkt: Gute Nachrichten aus der Krise

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2020)

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