Was immer bleibt

Nicht alles, was ist, soll sein. Von manchem wünschen wir, es würde einfach verschwinden. Aber wenn etwas verschwindet, dann wollen wir wenigstens wissen, wohin. Alles andere beunruhigt uns. Über Gedenkstätten, Zaubertricks, Benjamin, Shakespeare und Guido Kucskos „Epitaph“.

Von dem Philosophen Martin Seel stammt die These, das Entscheidende an Kunst bestehe darin, dass sie imstande ist, etwas in einer Art und Weise zum Erscheinen zu bringen, die keine andere Form der Wahrnehmung zulässt, als sich diesem Erscheinen in all seiner Bedeutungsvielfalt zu stellen. Der Sinn eines Kunstwerks ergibt sich weder aus Absichten noch aus Botschaften, er ergibt sich nicht aus Mitteilungen oder Anweisungen, sondern allein aus einer spezifischen sinnlichen Konfiguration, die durch nichts substituiert werden kann. Das, was in Kunstwerken zum Erscheinen gebracht wird, sind sie selbst, aber indem sie erscheinen, gehen sie über sich hinaus.

Für die moderne Kunst stellt solch eine „Ästhetik des Erscheinens“ unter zwei Gesichtspunkten eine anregende Herausforderung dar. Zum einen gehört es zur Tradition zumindest der Konzeptkunst, nichts mehr zum Erscheinen bringen zu wollen, sondern die Idee davor zu bewahren, in sinnliche Präsenz umzuschlagen. Eine radikale Lesart der Ästhetik des Erscheinens würde darauf hinweisen, dass die Idee als Idee nichtig ist, sofern sie sich, und sei es nur als Skizze, als Notiz, als hingekritzelter Satz eine Gestalt gibt, die eine sinnliche Wahrnehmung zulässt. Damit wird die Gestalt selbst ins Zentrum gerückt, die Idee wird im Kunstwerk an die Form gefesselt, ob sie will oder nicht. Jeder Kunstanspruch kann nur eingelöst werden, wenn etwas zur Erscheinung gebracht wird.

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