Trennungsbericht

Und plötzlich ist die Feministin futsch

Rachel Cusk ist Chronistin intimster Beziehungen, nach der Mutterschaft geht es um die Ehe und ihr Ende.
Rachel Cusk ist Chronistin intimster Beziehungen, nach der Mutterschaft geht es um die Ehe und ihr Ende.Siemon Scamell-Katz
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Die Britin Rachel Cusk schreibt über das Ende ihrer Ehe, ohne wirklich viele Details preiszugeben. Es geht eher um Stimmungen, Beobachtungen und das Leiden der Töchter.

Bis zum Ende ihrer Ehe hatte Rachel Cusk von sich selbst geglaubt, sie sei Feministin. Auch ihr Mann hatte das gedacht. Doch die Auflösung des gemeinsamen Familienlebens mit ihren beiden Töchtern löste archaische Besitzansprüche in der Mutter aus. Sie besteht auf dem alleinigen Sorgerecht und vertritt die Ansicht, Kinder gehörten zu ihrer Mutter. Umgekehrt tut sie sich schwer, ihrem Mann Unterhalt zu bezahlen. Er hatte jahrelang die Kinder betreut und seinen Beruf hintangestellt, während sie als Schriftstellerin die Familie ernährte.

Wer frühere Werke der 1967 geborenen Britin Rachel Cusk kennt, wird möglicherweise enttäuscht sein von ihrem soeben (und acht Jahre nach dem englischen Original) auf Deutsch erschienenen Bericht „Danach. Über Ehe und Trennung“. Vor fast 20 Jahren war Cusk eine der ersten Autorinnen, die sich in „A Life's Work“ (auf Deutsch ebenfalls erst 2019 als „Lebenswerk“) schonungslos mit der schmerzhaften Seite von Schwangerschaft und Geburt und den Ambivalenzen der Mutterschaft auseinandergesetzt hatte. Wer hätte also gedacht, dass diese Frau im Grunde ein sehr konservatives Verständnis von Feminismus hat und sich auf die biologischen Unterschiede der Geschlechter zurückzieht?


Mann und Frau in einem. Im Rückblick hadert Cusk damit, „eine moderne Beziehung“ geführt zu haben, in der sie als berufstätige Mutter gewissermaßen „Mann und Frau in einem“ war. Nur sei die Frau im Lauf der Zeit krank geworden, schildert sie: „Weil ihre Belohnung geringer ausfiel. Ich musste mich zurücknehmen und mich aus der Küche und von meinen Kindern fernhalten, nicht nur, um der Weiblichkeit meines Mannes Raum zu lassen, sondern um meine männlichen Ansprüche zu besänftigen.“

Erstaunlich ehrliche Bekenntnisse sind das. Auch sonst ist „Danach“ auf vielen Ebenen beeindruckend. So gelingt es Cusk – wie auch schon in „Lebenswerk“ –, über das Ende ihrer Ehe zu schreiben, ohne dabei allzu intime Details ihres Familienlebens preiszugeben. Wir erfahren nicht, woran die Beziehung letztlich zu Bruch gegangen ist, sondern wie es ist, sich ein neues Leben mit zwei (namenlos bleibenden) Töchtern aufzubauen. Es geht stattdessen um den gruseligen Mitbewohner (der sich nachts in den Garten stellt und stundenlang schreit), um die Ängste und Sorgen ihrer Töchter, ihren eigenen Schmerz, Erinnerungen an ihre Kindheit und alltägliche Beobachtungen zu Beziehungen anderer.

Suhrkamp

Nicht einmal eine von Cusks treffendsten Schilderungen in „Danach“ bezieht sich auf die eigene gescheiterte Ehe, sondern auf die einer Freundin: Auf dem Heimweg von einem Abendessen bei dieser und ihrem Ehemann in London, schreibt Cusk, „fühlte man sich verletzt, als hätte eine unsichtbare Klinge im Laufe des Abends die Haut geritzt. Vermutlich war diese Klinge die Feindseligkeit zwischen Mann und Frau gewesen (. . .), die den Haushalt und den Lebensstil des Paares zu einem späteren Zeitpunkt zerstückeln sollte“.

Cusk verwebt ihre reale Trennungsgeschichte mit der antiken „Orestie“ des Aischylos und der Ermordung Agamemnons durch Klytämnestra, weil dieser die gemeinsame Tochter geopfert hat. Das sind die trockensten Stellen. Sonst geht es bei Rachel Cusk – Stichwort Mitbewohner – streckenweise amüsant und leichtfüßig zu, die Schwere und Trauer, die die Sprengung eines Familienlebens nach sich ziehen kann, blitzen nur hie und da durch.


Jammern gibt's nicht. Ihr Trennungsbericht teilt sich in acht Kapitel, die wenig miteinander zu tun haben. Am Ende wechselt Cusk sogar die Perspektive, sie verlässt das Erzähler-Ich und lässt eine außenstehende dritte Person erzählen. Insgesamt ist das ein experimenteller und literarisch interessanter, aber alles andere als einfacher Kontext. Was ihn vor allem ausmacht, ist die Tatsache, dass die Autorin sich bei allem Hadern über getroffene Lebensentscheidungen nie als Opfer sieht, nie ins Jammern verfällt. Sondern ihr Schicksal mit erhobenem Haupt und selbstbestimmt in die Hand nimmt. Und das ist dann doch wieder urfeministisch.

Neu Erschienen

Rachel Cusk

„Danach“

Übersetzt von
Eva Bonné

Suhrkamp-Verlag
187 Seiten
22,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2020)

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