Serbien: Wut und Ratlosigkeit

Serbien: Wut und Ratlosigkeit
Serbien: Wut und Ratlosigkeit(c) EPA (Kushtrim Ternava)
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Trotz diplomatischer Schlappe vor dem Internationalen Gerichtshof will die Regierung in Belgrad am harten Kurs festhalten. Sonderemissäre sollen Welle neuer Anerkennungen des Kosovo verhindern.

BELGRAD. Die Glocken sollten in Serbiens Hauptstadt Belgrad vergeblich läuten. Selbst treuen Kirchgängern war nach der überraschend klaren Absegnung der Unabhängigkeit der ehemaligen Provinz durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) die Lust am Stoßgebet zur Rettung des Kosovo vergangen. Gerade einmal eine halbe Hundertschaft Kirchgänger verlor sich beim Kosovo-Gedenkgottesdienst unter der hohen Kuppel der Sveti-Sava-Kathedrale.

Auch im Kosovo blieb die befürchtete Welle des gewalttätigen Volkszorns aus. Im serbisch kontrollierten Nordmitrovica löste sich die Protestkundgebung von mehreren hundert konsternierter Kosovo-Serben schon nach kurzer Zeit wieder auf. Mit der zumeist abgelehnten, aber nun vom IGH bestätigten Loslösung des Kosovo scheint sich der Großteil der von ganz anderen Alltagsproblemen geplagten Serben innerlich längst abgefunden zu haben.

„Politik ist stärker als Recht“

Ernüchtert reagierte Serbiens Presse auf die diplomatische Schlappe: „Die Politik ist stärker als das Recht“, kommentierte der liberale „Blic“ verbittert das von Belgrad angeforderte Gutachten: Den Richtern sei es nicht geglückt, sich von der Politik der Staaten, aus der sie stammten, „zu isolieren“. Nun sei es „definitiv“ klar, dass in der Welt nicht Recht und Gesetz regierten, sondern „die Interessen der Großmächte, deren Banken und Konzerne“, lamentierte das Boulevardblatt „Press“.

Serbien habe die Weltmächte gegen sich gehabt, die schon 1999 zur Schaffung eines unabhängigen Kosovo das Land bombardieren ließen, so der Kommentator der konservativen „Politika“. Nur die unabhängige Internetzeitung „e-novine“ wagte es, in der Schlagzeile auf die Folgen des IGH-Gutachtens hinzuweisen: „Serbien in der staatlichen Sackgasse“.

Der Premier der bosnischen Serben, Milorad Dodik, konnte dem IGH-Gutachten hingegen – auf seine Art – etwas abgewinnen. Er verwies erneut darauf, die „Serbische Republik“ könnte ein Referendum über die Unabhängigkeit von Bosnien abhalten.

Eigentlich hatte sich Belgrad von dem über die UN-Vollversammlung angeforderten IGH-Gutachten Rückenwind für seinen diplomatischen Windmühlenkampf um den faktisch schon 1999 verlorenen Kosovo erhofft. Selbst ein sich um eine deutliche Parteinahme drückendes Gutachten werde die Zweifel über den Status des erst von 69UN-Mitgliedern anerkannten Staatenneulings verstärken, so die Kalkulation der serbischen Diplomatie: Mit dem IGH-Gutachten im Rücken hoffte Belgrad, Prishtina an den Verhandlungstisch zu zwingen. Doch die Planspiele von Serbiens nimmermüdem Chefdiplomaten Vuk Jeremić werden nun Makulatur. Wer den Schaden hat, muss sich über Spott nicht beklagen. „Danke, Vuk“, bedankte sich die kosovarische Zeitung „Ekspres“ auf Serbisch für das von Jeremić angeforderte IGH-Gutachten.

Von ratlosem Trotz sind derweil noch die Reaktionen in Belgrad bestimmt. Niemals werde Serbien Kosovo anerkennen, versicherte Präsident Boris Tadić. Schon für das Wochenende kündigte er die Entsendung von Sonderemissären in 55 Staaten an, um die befürchtete Wellen neuer Anerkennungen des Kosovo zu verhindern.

Pragmatismus in den Enklaven

Doch obwohl Serbien zumindest bis zur UN-Vollversammlung im September seine kostspielige Daueroffensive in Sachen Kosovo fortsetzen dürfte, wird der EU-Anwärter um eine gewisse Kurskorrektur kaum herumkommen. Nicht nur Brüssel drängt Belgrad auf einen pragmatischeren Umgang mit der Exprovinz. Die Landsleute in den Enklaven im Südkosovo, die sich allmählich mit der Realität des neuen Staates zu arrangieren beginnen, erwarten vom Mutterland praktische Lebenshilfe – und keine hehren Worte. Zumindest die liberale Oppositionspartei LDP drängt darauf, statt des aussichtslosen Kampfes um den Kosovo endlich die raschere Annäherung an die EU in den Mittelpunkt zu stellen. Das IGH-Gutachten verpflichte zur Änderung einer „verfehlten Politik“, fordert LDP-Chef Cedomir Jovanović.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2010)

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