Stadtbild

Wenn Zweckarchitektur ihren Zweck überdauert

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Dieser Tage, nächst der Reichsbrücke: Was sichtbar wird, wo's an Bussen und Flusskreuzfahrern fehlt.

Nein, ich gehöre nicht zu jenen, die selbst der Unerfreulichkeit einer Pandemie noch Erfreuliches abzutrotzen wissen. Einsamkeitsbedürfnisse stille ich seit je lieber in Wäldern und Wüsteneien als auf dem Stephansplatz, Menschenfeindlichkeit plagt mich nicht so sehr, dass ich mich daran erquicke, wenn jedermann und -frau einen weiten Bogen um mich macht. Und ob ein Virus der rechte Lehrmeister ist, uns von den Verführungen unserer Konsumwelt zu befreien, darf mit jedem Post-Lockdown-Tag mehr bezweifelt werden.
Dennoch: Eine Covid-19-freie Welt hätte mir wohl kaum jene Entdeckung ermöglicht, von der hier die Rede ist. Es geschah bei einer kürzlichen Überfahrt auf dem stromaufwärtigen Reichsbrückenradweg, von der Donaustadt kommend Richtung Leopoldstadt. Eine gewiss Hunderte, wenn nicht Tausende Male von mir genützte Passage, auf der mein Blick gewiss schon Hunderte, wenn nicht Tausende Male über die Anlegestellen für die Passagierschiffe strich. Nur war diesmal von Passagierschiffen, Flusskreuzfahrern und Busgedränge am und auf dem Ufer nichts zu sehen, dafür bestens sichtbar, strahlend weiß getüncht, ein schmuckes Häuschen, das ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Ein näherer Augenschein lieferte umstandslos eine erste Erläuterung seines Zwecks: In großen Lettern war die Baulichkeit als „Pegelhaus Reichsbrücke“ ausgewiesen.
Weitere Erkundungen lieferten Informationen zu den Anfängen der Pegelmessung an der Reichsbrücke in den 1870ern, mit der Donauregulierung, zutage und zudem, dass der Pegel Reichsbrücke mit der Aufstauung der Donau für das Kraftwerk Freudenau in den 1990ern „hinfällig“ geworden sei, jedoch nichts über die Errichtung des Pegelhauses selbst. Ein Stück Zweckarchitektur eben, nicht mehr. Charmant allemal. Und eines, das seinen Zweck überdauert hat. Gut so.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

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