Neues Album

Neil Young kramt Zärtliches aus dem Fundus

emily dyan ibarra, EDIPHOTOEYE
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Zum Teil bekannt, aber lohnend: Der Liedermacher veröffentlicht nach 46 Jahren das sagenumwobene Album „Homegrown“.

Neil Young, das sind zwei. Der mittlerweile 74-jährige Simplizissimus aus Toronto kennt nur zwei Arten von Songs: brachiale Kracher, die mit jeder Menge Gitarren-Feedbackklängen aufwarten, und hauchzarte, fistelstimmig vorgetragene Folkballaden. Die eine Sorte Fans verehrt den Rabauken, die andere den sensiblen Romantiker. Nur wenige mögen beide Aspekte dieser unermüdlich arbeitenden musikalischen Persönlichkeit. Corona sei Dank darf nun seine zärtliche Seite wieder ans Licht. Pandemiebedingt musste Young nämlich eine lange geplante Tournee mit seiner Krachband Crazy Horse absagen. Stattdessen stöberte er in seinem reichhaltigen Archiv und beförderte ein fertiges Album hervor, das eigentlich schon vor 46 Jahren das Neonlicht der Plattenläden sehen hätte sollen. Weil ihn aber die Trennung von seiner damaligen Liebsten, der Schauspielerin Carrie Snodgress, gar so beutelte, wollte er die in dieser Phase entstandenen Lieder nicht veröffentlichen. Dabei war das 1974, also im Entstehungsjahr von „Homegrown“ herausgekommene „On The Beach“ viel, viel niederschmetternder.

Das nun in einem schmuck gezeichneten Cover edierte „Homegrown“ kursierte zwar nie als Bootleg, einige Songs davon sind dennoch bekannt. Young hat etwa „Little Wing“, die märchenhafte Ballade um ein kleines Vögelchen, das in die Städte kommt, wenn die Kinder singen, 1980 auf „Hawks & Doves“ veröffentlicht. Die Versionen von 1974 und 1980 des auf Mundharmonika und Gitarre aufgenommenen Stücks sind kaum zu unterscheiden. Jedem halbwegs talentierten Melancholiker geht die Schlusszeile „The winter is the best time of all“ auch jetzt in der warmen Jahreszeit ideal ins Gemüt.

Wimmern, Weinen und Lärm

Auch andere Lieder von „Homegrown“ hat Young früher schon herausgebracht. Das frohgemute „Love Is A Rose“ kennt der Langzeitfan schon von „Decade“, „Star of Bethlehem“ von „American Stars´n´Bars“. Und „White Line“ wurde 1990 auf „Ragged Glory“ erstveröffentlicht.

Das macht es schwer, „Homegrown“ als konzises Album zu rezipieren. Die Anschaffung zahlt sich dennoch aus. Der Opener „Separate Ways“ könnte vom Groove her auf dem Bestselleralbum „Harvest“ drauf gewesen sein. Die Pedal-Steel-Gitarre von Ben Keith wimmert weh, während Tim Drummonds Bass den vitalen Kontrapunkt dazu markiert. Das sorgt für Leben in der Agonie. Und bevor Young zu singen anhebt, weint er in die Mundharmonika.

Auch „Mexico“ ist Regentagsmusik. „Why is it so hard to hang on to your love?“ fragt Young hier zum poetischen Klavier von Stan Szelest. Die Antwort darauf delegiert er an die Fantasie des Hörers. Die intensive Ballade „Kansas“ ist noch eine Spur deprimierender. Eine Überraschung bietet „Florida“. Zu lärmigen Geräuschen probiert sich Young hier als recht bizarrer Rezitator aus. Von gewohnter Schönheit ist dann „White Line“, wo Young die Liebe als sicheren Hafen vor zu viel Ego und Stolz preist. Der weiseste Satz dieser Liedersammlung lautet: „Me for me, you for you, happiness is never through, it's only a change of plan and nothing is new.” Tja, wenn Menschen planen, lachen die Götter. Aber das weiß man ja.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2020)

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