Kosovo: Unabhängig, aber unfrei

Kosovo Unabhaengig aber unfrei
Kosovo Unabhaengig aber unfrei(c) Sommerbauer
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Die isolierten Optimisten: Mehr noch als Arbeitslosigkeit macht den Jugendlichen im Kosovo die fehlende Reisefreiheit zu schaffen. Lokalaugenschein in jenem Land, in das Arigona Zogaj zurückgeschickt wurde.

Die vier Freunde versinken beim Gespräch immer tiefer in den weichen Ledersofas, zwei „Young Professionals“ erledigen daneben die letzten Aufgaben des Tages, wireless am Laptop. Indie-Musik legt sich über das englische Sprachgewirr, lässig gekleidete Barkeeper geben Schalen mit Nüsschen aus, Euroscheine wechseln über der Holztheke den Besitzer. Die Szene könnte in einer beliebigen westeuropäischen Stadt spielen – wäre da nicht die lokale Biermarke, die die meisten der jungen Leute im gedämpften Licht des „Strip Depot” trinken: Fläschchen einer Brauerei aus dem westkosovarischen Peja, serbisch Peć. „Peja”, eine Biermarke als Erdung im gefühlt westeuropäischen Ausgehambiente.

Das Lokal ist drei Minuten von der stacheldrahtumzäunten Zentrale der Eulex, der Rechtsstaats- und Polizeimission der EU, und keine fünf vom Glasbunker der OSZE-Mission entfernt. Arben Zharku nimmt einen großen Schluck „Peja”. „Die Internationalen kommen her”, sagt er, „und dennoch sind wir das isolierteste Land der Welt.”

Da mag es noch so international zugehen in den Cafés, da mögen junge Leute Englisch und Deutsch nahezu perfekt sprechen und manche von ihnen in den Internationalen Organisationen oder NGOs einen vergleichsweise gutbezahlten Job finden. An der Lage der Kosovaren hat sich seit 1999, als die Nato die serbischen Truppen vertrieb und die Provinz unter UN-Kontrolle gestellt wurde, nicht viel geändert. Die Internationalen kommen und gehen, den meisten Jugendlichen bleibt nur eines: im Café sitzen. Jene Länder, in die Kosovaren ohne Visum reisen dürfen, kann Arben (28) an einer Hand abzählen: Albanien, Montenegro, Mazedonien und die Türkei. „Sogar Menschen aus Afghanistan haben mehr Freiheiten als wir”, klagt er.


Isolation. Es ist dieses Gefühl des Festsitzens, das auch die abgeschobene Arigona Zogaj fürchten muss. Noch viel stärker als in der quirligen Hauptstadt ist die Isolation in den ländlichen Gebieten des zwei Millionen Einwohner zählenden Landes zu spüren. Fernsehen und Internet, wenn verfügbar, sind dort die einzige Verbindung zur Außenwelt. Kosovo ist mitten in Europa. Eingesperrt mitten in Europa.

Die am 17.Februar 2008 einseitig erklärte Abspaltung von Serbien hat wenig daran geändert. Erst 69 der 192 UN-Mitglieder haben den Kosovo anerkannt, auch innerhalb der EU verweigern dies nach wie vor fünf Staaten. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom Donnerstag, die Unabhängigkeitserklärung als rechtens zu beurteilen, könnte Bewegung bringen: „Jetzt können sie nicht mehr sagen, dass wir illegal sind”, hofft Zharku.

Trotz ihrer Randlage hat der junge Mann seine Republik nicht aufgegeben. Wie viele seiner Altersgenossen sprüht er vor Energie. Zharku, mit kecker Kurzhaarfrisur, managt das Kulturzentrum „Qendra Multimedia Center” und organisiert das heuer zum achten Mal stattfindende Internationale Studentenfilmfestival „Skena Up”. Er habe sich bewusst für Prishtina entschieden, „um dabei zu sein”. Prishtina, dieses ausufernde Häusermeer mit seinen viel zu engen Gassen, überquellenden Mülltonnen und Stromabschaltungen, eine Stadt der positiven Energie? Aber ja, sagt Zharku: „Hier stecken Farbe und Geist nicht in den Gebäuden, sondern in den Menschen.”


Blick nach vorne. Vielleicht kann man es das Glück der späten Geburt nennen. Fast die Hälfte der zwei Millionen Einwohner ist unter 18. Zwar haben viele Krieg und Vertreibung miterlebt, doch die Ereignisse haben nicht ihr ganzes Leben geprägt. „Die Jugend blickt allein wegen ihres Alters nach vorne”, sagt Kosovo-Kennerin Verena Knaus, Mitgründerin des Thinktanks European Stability Initiative (ESI). Kein Wunder, sagt Knaus, dass in internationalen Optimismus-Umfragen der Kosovo stets einer der Spitzenreiter ist.

Für das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt ist die Masse der Jugendlichen aber eine Belastung. But Dedaj, Direktor des „World University Service Austria”, einer aus Österreich stammenden NGO, hat da keine Illusionen. Im klimatisierten Büro an der Uni Prishtina zählt er auf, welche drei Möglichkeiten junge Menschen im Kosovo heute hätten: „Wenn Jugendliche nach der Schule keinen Job finden, können sie studieren, zu Hause sitzen oder versuchen, außer Landes zu kommen”, sagt Dedaj. Sein trockener Kommentar zur mangelnden legalen Ausreisemöglichkeit: „Wenn Leute gehen wollen, kann man sie nicht aufhalten. Es wäre besser, den Prozess zu regulieren.” Bürger aus Montenegro, Mazedonien und Serbien dürfen seit Ende 2009 visumsfrei in die EU einreisen. Die kosovarische Regierung will ihren Visa-Dialog mit der Union im Herbst starten.

Offiziell liegt die Arbeitslosenrate bei 40 Prozent, sie dürfte aber höher sein. Für 25.000 Schulabsolventen stehen jährlich etwa 16.000 Uniplätze bereit. Wirtschaft und Jus sind die beliebtesten Fächer, doch ein Abschluss ist noch lange keine Garantie für einen guten Job. „Viele Abgänger arbeiten als Taxifahrer oder Kellnerin. Zumindest sind sie dann nicht arbeitslos”, sagt Dedaj schulterzuckend.

Kellnerin wollte sie keinesfalls werden. Krenare Rugova, eine energische junge Frau mit blitzenden Augen, kehrte 2003 zurück. In der Tasche hatte sie einen US-Abschluss als Modedesignerin – und eine Idee: Sie wollte das erste Modeatelier Prishtinas eröffnen. „Davor gingen die Leute mit ihren Stoffen nur zum Schneider”, erzählt sie in ihrem lichtdurchfluteten Showroom in einem unscheinbaren Wohnblock. Dass es einen Markt gibt für ihre Entwürfe („elegant, aber mit urbanem Touch”), daran hat sie nie gezweifelt: „Kosovarische Frauen lieben schöne Kleider.” Doch statt eng anliegende, „zu bunte” Ausgehuniformen, will Rugova mit ihren Modellen eines ausdrücken: „Freiheit”. Mode für die unabhängigen Frauen eines jungen, unabhängigen Landes – „Made in Kosova” steht wie zur Bestätigung auf den Labels.


Duftmarke Großalbanien. Ein paar Straßen entfernt hat die Jugendbewegung „Vetevendosje” ihr Hauptquartier. Hier versammeln sich die Unzufriedenen, die Kritiker der Internationalen. Vetevendosje bedeutet „Selbstbestimmung”. Ihr charismatischer Anführer Albin Kurti wettert gegen die Überwachung der Unabhängigkeit durch internationale Militär- und Polizeimissionen. Beinahe jedes Gebäude in der Innenstadt Prishtinas ziert ein Graffito. Da wird die KFOR als „serbische Erfindung“ gebrandmarkt, da prangt in großen Lettern „EULEXperiment”. Worauf die stürmischen Antikolonialisten setzen, ist im Vorgarten ihres Büros zu sehen: Eine übermannsgroße albanische Flagge weht hier. Großalbanien als politische Vision? Wohl eher als emotionale Duftmarke.

In einem Büro hinter der OSZE wird derweil an Gegenkonzepten gefeilt. Die „Youth Initiative for Human Rights” setzt auf das Kennenlernen der verfeindeten Nachbarn. Mit organisierten Fahrten nach Belgrad und Sarajewo will man Vorurteile abbauen. 500 Jugendliche haben in fünf Jahren daran teilgenommen. „Ein Tropfen auf den heißen Stein”, gibt Vjosa Rexhepi zu, 23-jährige Pharmaziestudentin mit Lockenkopf. Was die Gesellschaft im Allgemeinen betreffe, sei es bis zu einer Versöhnung noch ein weiter Weg. Ihr Mitstreiter Ferid Murseli hatte vor seiner ersten Reise nach Belgrad Bauchweh. „Doch dann habe ich gesehen, dass es dort nicht gefährlich ist.” In welcher Sprache er sich mit den serbischen Jugendlichen unterhielt? „Auf Englisch.”

Zu Weihnachten entwarfen Ferid und Vjosa mit anderen Aktivisten Postkarten: „Unser Weihnachtsmann benötigt ein Visum, damit er euch ein Geschenk bringen kann”, stand darauf geschrieben, neben einer Zeichnung mit Europa als fernem Planeten. Ferid und Vjosa warfen die Karten in den Postkasten, adressiert an die Brüsseler Behörden und die ausländischen Botschaften in Prishtina. Eine Antwort haben sie bis heute nicht erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2010)

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