Steiermark: Das Ende der politischen Querdenker

Parteirevolten Steiermark Ende Querdenker
Parteirevolten Steiermark Ende Querdenker(c) APA Roland Schlager
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Seit Jahrzehnten gilt die Steiermark als Keimzelle für parteiinterne Palastrevolten. Heute kuschelt man im schwarzen Lager, während im roten regelmäßig die Fetzen zwischen Graz und Wien fliegen.

Wenn man als Generalsekretär des Wirtschaftsbundes außer Dienst Parteiobmann wird und sich dann so verhält, dann sammelt man schön langsam Punkte negativer Art, die das Vertrauen nicht gerade stärken.“ Derartige Unfreundlichkeiten musste sich Neo-Bundesparteichef Wolfgang Schüssel anno 1996 anhören. Sie kamen aus der Steiermark. Aus der eigenen Partei! Als Landesobmann des ÖAAB holte Hermann Schützenhöfer wegen der Listenerstellung für die EU-Wahl zum verbalen Faustschlag statt zur Umarmung aus.

Mittlerweile ist Schützenhöfer zum Landesparteichef aufgestiegen. Mit dem aktuellen Bundesparteiobmann Josef Pröll verbindet ihn nicht nur die Vorliebe für guten Wein. Auch im politischen Tagesgeschäft kämpft man Schulter an Schulter. Das war nicht immer so. Im Gegenteil: Spitzzüngige Kritik, verdeckte Stimmungsmache oder teils offener Widerstand gegen Vorschläge der Bundespartei gehörten lange zum Markenzeichen der Steirer-VP. Man verstand sich als politische Avantgarde – auch innerhalb der eigenen Partei.

Die Basis dafür liegt in den 1970er-Jahren. Der damalige Landesparteichef Josef Krainer regierte die Steiermark mit landesfürstlichem Gestus. Parteipolitischer Widerstand zerschellte an einer gemütlichen Mehrheit. Im Nahbereich der Partei züchtete Krainer aber ein blühendes Beet von jungen intellektuellen Querdenkern, unter ihnen Namen wie Gerhard Hirschmann, Herbert Paierl, Bernd Schilcher, Herwig Hösele oder Hermann Schützenhöfer. Sie prägten das Bild der Partei in den darauf folgenden Jahrzehnten.

„Freistaat Steiermark.“ Es gehörte für die steirischen Proponenten zum guten Ton, Richtung Wiener Zentralstellen zu sticheln: Beispielsweise 1986 mit einem Volksbegehren gegen die geplante Stationierung der Eurofighter- Vorgänger „Draken“ in der Steiermark. Ein Jahr später mit einem Misstrauensantrag gegen den ÖVP-eigenen Verteidigungsminister (Robert Lichal). Frustbegründet folgten gar Überlegungen an eine Abspaltung von Österreich und die Ausrufung eines Freistaates nach bayrischem Vorbild.

Später sorgten revolutionäre Staatsreformideen wie die Abschaffung oder zumindest Verkleinerung von Landtagen und Bundesrat (Gerhard Hirschmann) für Unruhe und Ärger in den eigenen Reihen. Dazu kamen permanente sachpolitische Querschüsse. Vor allem der aktuelle Parteiobmann Hermann Schützenhöfer profilierte sich in den 1990er-Jahren als spitzzüngiger Querulant. „Der ÖVP fehlt die soziale Kompetenz“, klagte er 1996. „Wir haben in sozialen Fragen ein Defizit, eine Verbreiterung der sozialen Dimension ist notwendig“, forderte er 1998. Und noch 2004 bekrittelte er, die ÖVP verteidige ein „verzopftes Familienbild“ und sei nicht beim Lebensgefühl der Menschen.


Kleinkrieg. Das schwarze Rebellentum nützte sich aber ab, verlor zunächst an Glanz und dann auch noch Wahlen. Zuletzt sprengte es sich selbst in die Luft. Herbert Paierl und Gerhard Hirschmann verwickelten sich als Landesräte in einen internen Kleinkrieg. Beide schieden verbittert aus der Politik aus. Paierl wechselte in die Privatwirtschaft – brach aber nie ganz mit der Partei, was ihn 2008 für eine Nacht zum Fast-Wirtschaftsminister machte. Mittlerweile ist er Präsident des Managementklubs. Gerhard Hirschmann trieb die Provokation an die Spitze und kandidierte 2005 mit einer eigenen Liste bei der Landtagswahl. Er verfehlte zwar den Einzug in den Landtag klar, trug aber wesentlich zur historischen Niederlage der ÖVP (Verlust des Landeshauptmanns) bei. Heute ist er als Projektmanager und Lobbyist nur mehr im Hintergrund aktiv. Bernd Schilchers verklausulierte Rache an der eigenen Partei – vor allem an der Reformverweigerung in der Schulpolitik – fiel eine Spur delikater aus: Er ließ sich zwischenzeitlich als Berater der SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmied anheuern.

Davor, dazwischen und danach sorgte ein anderer Steirer regelmäßig für erhöhten Blutdruck in der Bundeszentrale der ÖVP: Christopher Drexler, mittlerweile als Klubobmann im Landtag, als ÖAAB-Landeschef und rhetorischer Revolverheld Richtung Wien in allen Funktionen Nachfolger seines politischen Ziehvaters Hermann Schützenhöfer. Er unterhielt die Szene mit sommerlichen Forderungen nach Tempo 160 auf Autobahnen (2003), einer Homo-Ehe (2004), einem verpflichtenden Sozialdienst für Notstands- und Sozialhilfeempfänger (2005), einer Pflicht-Pflegeversicherung für Kinderlose (2006) sowie der Abschaffung der Neutralität (2007). Immer wieder musste die aufgebrachte Bundespartei auf die gezielten Provokationen aus der Steiermark reagieren. Und sei es meist nur mit Ablehnung und Ärger.

Mittlerweile ist es still geworden um Drexler, Schützenhöfer und die steirische ÖVP insgesamt, wenn es darum geht, die eigenen Kollegen in Wien zu kritisieren. Das Ende der Querulanten? „Wir haben uns im positiven Sinne zusammengerauft“, sagt Drexler zur „Presse am Sonntag“. Interne „Trara-Geschichten“ (Drexler) seien kanalisiert, das Streben nach einer gemeinsamen Zugkraft hat sogar aus der alten Bruchlinie zwischen Niederösterreich und der Steiermark eine gemeinsame Achse werden lassen, was Drexler „erfrischend“ findet. Freilich ist das auch wesentlichen Verschiebungen im politischen Machtparallelogramm geschuldet: Sowohl im Bund als auch in der Steiermark ist die ÖVP derzeit nur die Nummer zwei. „Da kommen die großen Reformforderungen Richtung Bund nicht mehr in dieser Dimension“, analysiert der Grazer Politologe Klaus Poier. Für Initiativen, wie die von ihm selbst federführend betriebene zur Einführung eines minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts sei eben „jetzt die Zeit nicht da“. Und in Sachen Proporzabschaffung ist bei ihm selbst „die große Euphorie weg“, gibt Poier zu, nachdem er die Folgen der Reform in Salzburg oder Tirol gesehen habe.

Das Ende der Querdenker? „Nein, Potenzial in der steirischen ÖVP ist da“, sagt der Wissenschaftler und verweist auf die von Landesparteigeschäftsführer Bernhard Rinner kreierte Veranstaltungsreihe „Dienstalk“, für die sich die Partei regelmäßig externe Experten für offene Publikumsdiskussionen in die Parteizentrale einlädt. Die Richtung Wien fokussierte Rabaukenrolle hat ein anderer übernommen.

„Nicht einmal der Papst.“ Mit Franz Voves hat bei der steirischen SPÖ das Revoluzzertum gegenüber der eigenen Bundesparteispitze eine neue Dimension erreicht. Voves hat binnen sieben Jahren eine bemerkenswerte Wandlung hinter sich: Vom Quereinsteiger zum Querschläger, zum Querdenker. Der ehemalige Versicherungsmanager übernimmt 2003 die Partei und führt sie 2005 zu einem überraschenden wie deutlichen Erfolg. Ausgestattet mit reichlich Selbstvertrauen und wenig parteitaktischem Gespür düpiert Voves Anfang 2007 seinen eigenen Bundesparteichef erstmals. Vor laufender Kamera lässt er Kanzler Alfred Gusenbauer minutenlang am Telefon warten. „So kann mit mir überhaupt niemand umgehen, nicht einmal der Papst“, schimpft der Steirer in die Mikrofone – bis schließlich mit Heidrun Silhavy doch eine Steirerin ins SPÖ-Regierungsteam aufrückt. Auch mit Gusenbauers Nachfolger an Partei- und Regierungsspitze, Werner Faymann, reibt er sich leidenschaftlich und regelmäßig. Als Voves – nicht akkordiert mit der Bundespartei – dann seine Visionen einer „Neuen Europäischen Wirtschaftspolitik“ (NEW) präsentiert, lassen die Wiener Genossen ihre Muskeln und guten Verbindungen zum Medienboulevard spielen. Voves wird über Nacht zum Lieblingsfeind der „Kronen Zeitung“. Als „Kernölsozialist“ ist er es bis heute geblieben.

Parteifreie Plattform. Dabei hat Voves nur einen alten steirischen, von der ÖVP unter Krainer perfektionierten Reflex bedient: „Wir gegen die in Wien – das hat immer funktioniert“, attestiert Politologe Poier: „Es sind Rollen wie in einem sportlichen Wettkampf und ein Muster, das eine gewisse Logik hat.“ Auch parteiintern gibt es Parallelen. Denn wie in der ÖVP 2005, explodiert in der SPÖ vor einer Landtagswahl ein internes Pulverfass. Der Konflikt zwischen Voves und dem streitbaren, ideologiefesten Linkspolitiker Kurt Flecker eskalierte im Frühjahr. Am Ende ließ Voves Querdenker Flecker fallen.

Der Steiermark selbst haben derartige Verwerfungen innerhalb ihrer großen Parteien noch nie wirklich genützt. Gepaart mit dem Proporzsystem „geht nichts mehr weiter“, kritisiert Jochen Pildner-Steinburg, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung. Gleichzeitig vermisst er ein produktives, parteiübergreifendes Quer- und Vorausdenkertum: „Es braucht wieder gescheite Köpfe, die langfristige Konzepte und Umsetzungswillen haben und nicht davor zurückschrecken, 20 eigene Bürgermeister zu verlieren.“

Noch vor der Wahl könnte es diesbezüglich Bewegung geben: Eine bunte, überparteiliche Gruppe aus Unternehmern, Künstlern und Wissenschaftlern will Anfang September ein eigenes „Querdenkerpapier“ präsentieren und damit die Parteien unter Druck setzen. „Es geht nicht mehr anders“, sagt ein prominentes Mitglied.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2010)

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