Corona-Reisewarnung

Ärger auf dem Balkan: „Österreich setzt uns auf schwarze Liste“

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In Südosteuropa blickt man mit Sorge auf die neuen Maßnahmen Wiens gegen sechs Westbalkan-Staaten angesichts der dort problematischen Pandemie-Lage. Andere EU-Staaten sehen es allerdings auch so wie Österreich.

Die Reaktion kam umgehend: „Schranke für die Bürger Serbiens – Österreich entscheidet, die Grenzen trotz der EU-Empfehlung nicht zu öffnen", titelte am Mittwochnachmittag die Website der serbischen Zeitung „Blic". Und Blic schrieb weiter: „Diese Entscheidung kann für die Bürger, die vom Westbalkan stammen, große Probleme schaffen, weil viele Firmen ihre Beschäftigten bereits gewarnt haben, dass sie bei Infektionen nach Reisen in Länder auf der Liste des Außenministeriums mit arbeitsrechtlichen Folgen rechnen müssen."

In Montenegros Hauptstadt Podgorica vermeldete die Zeitung „Vijesti": „Österreich warnt vor Reisen nach Montenegro." Und das bosnische Webportal „072info" berichtete betrübt: „Österreich setzt uns auf die schwarze Liste."

Am Mittwochvormittag hatten Österreichs Behörden das öffentlich gemacht, was „Die Presse" schon zuvor berichtet hatte: Gegen sechs Länder des Westbalkans werden wegen der Coronakrise Reisewarnungen verhängt. Die Maßnahme betrifft Serbien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Albanien und Montenegro. Vor allem Migranten und Österreicher mit Wurzeln in diesen Ländern wurden von der Regierung in Wien dazu aufgefordert, diesen Sommer auf Reisen auf den Westbalkan zu verzichten. Dafür waren am Mittwoch Außenminister Alexander Schallenberg, Innenminister Karl Nehammer, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Integrationsministerin Susanne Raab bei einer Pressekonferenz aufmarschiert.

Vermehrt Erkrankungen bei Balkan-Rückkehrern

In Österreich würden vermehrt Neuerkrankungen bei Rückkehrern vom Westbalkan konstatiert, begründete Schallenberg die Reisewarnung mit der höchsten Sicherheitsstufe 6: Landsleuten, die sich derzeit in der Region aufhalten, empfiehlt Wien „dringend", das jeweilige Gebiet zu verlassen.

„Ich bin mir bewusst, dass diese Entscheidung – insbesondere mit Blick auf die Sommerferien – für viele Menschen in Österreich eine sehr schmerzhafte ist", sagte Schallenberg. Die Lage auf dem Westbalkan habe sich aber in den vergangenen Tagen und Wochen „nicht so positiv entwickelt. Das Gegenteil ist leider der Fall."

APA/BUNDESKANZLERAMT/ANDY WENZEL

Serbien trifft die Maßnahme Österreichs hart. Seit Tagen war in serbischen Medien bereits die frohe Botschaft von der bevorstehenden Aufhebung der Einreisebeschränkungen in die EU verbreitet worden. Doch obwohl sich auch Serbien und Montenegro auf der Liste der 14 Nicht-EU-Staaten befinden, für die Brüssel zum 1. Juli die Aufhebung aller Einreisebeschränkungen empfiehlt, ist jetzt keinerlei Jubelstimmung zu verspüren: Dabei geht es nicht nur um den jüngsten Schritt Österreichs. Wegen steigender Infektionsraten zögern in der Tat immer mehr EU-Mitglieder mit der Umsetzung der Empfehlung aus Brüssel.

Angst vor hoher Dunkelziffer

EU-Mitglieder wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Tschechien und Slowenien sehen von der seitens Brüssels verkündeten Aufhebung der Reisebeschränkungen ab. Die Westbalkanstaaten scheinen die Kontrolle über die sich dort in den vergangenen Tagen immer rascher ausbreitende Pandemie zunehmend zu verlieren. Die offiziellen Infektionszahlen sind kräftig im Steigen, aber spiegeln das tatsächliche Ausmaß der Epidemie kaum mehr wieder: Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen.

In Serbien ist die offizielle Zahl der Neuinfektionen seit der Parlamentswahl am 21. Juni von unter 100 auf knapp 300 geklettert. Alle Krankenhäuser seien voll, Tests gebe es keine mehr, Erkrankte würden selbst mit klaren Symptomen wieder nach Hause geschickt, beschreibt Rade Panić, der Vorsitzende der Ärzte- und Apothekergewerkschaft, die Lage. Die Bürger sollten weder Politikern noch dem Krisenstab vertrauen, sondern auf ihre Gesundheit achten, „denn die Ärzte können ihnen kaum mehr helfen".

Mediziner protestieren gegen Premierministerin

Bei einer Visite von Regierungschefin Ana Brnabić im südserbischen Novi Pazar drehten ihr Pfleger und Ärzte aus Protest den Rücken zu. Während Brnabić versicherte, dass „alles unter Kontrolle" sei, rief ihr die tränenüberströmte Anwohnerin Senada Jasarević aufgebracht zu, dass ihre Mutter in der Nacht gestorben sei und es für ihren erkrankten Vater keinen Krankenhausplatz gebe: „Hört auf mit den Lügen!"

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