Kolumne zum Tag

Der Trampel darf bitte nicht aussterben

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„Trampel“, sagt der Mann, dem ich zuvor freundlich erklärt habe, warum ich den Lift nicht mit ihm und seiner Frau teilen will.

„Trampel“, sagt der Mann, dem ich zuvor freundlich erklärt habe, warum ich den Lift nicht mit ihm und seiner Frau teilen will, und was er danach noch laut nachkeppelt, war schon lang nicht mehr zu hören, haben sich doch die Schimpfwörter in den vergangenen Jahren deutlich von einem eher fäkal zu einem sexuell orientierten Wortschatz hin verschoben. Ebenso hat die Bedeutung der Mutter beim Beleidigen stark zugenommen. Insofern macht einen der zornige Mann, dem die Mitfahrt aus Virusgründen verwehrt wurde, fast sentimental. „Blunz'n“ hätte auch gut gepasst.

Wahrscheinlich ging's ihm danach besser. Es ist ja nicht einfach zurzeit, mit der Unsicherheit, wie es nun weitergeht, und zwischen „alles wie früher“ und „nichts mehr wie früher“ ist ein weites Feld. Sogar Menschen, die sonst immer gescheiter sind als der Rest, fordern nun plötzlich absolute Klarheit, wie denn der Herbst aussehen werde, was die Schule betrifft, die Arbeit und das tägliche Leben. Doch wer soll dieses Wissen haben?

Viel wird darüber geredet, ob denn auch etwas Positives von der Coronazeit bleiben werde, und wahrscheinlich wird es so sein wie immer: Bessere Menschen sind wir nicht geworden, aber vielleicht können wir besser kochen. Wenn ein Mehr an Solidarität übrig bleibt, hätten auch alle etwas davon. Und eine Erkenntnis wäre grundsätzlich schön: dass manchen mehr sozialer Kontakt guttut, so wie anderen weniger davon, und dass es möglich sein sollte, beiden Seiten Raum und Verständnis zu geben.

Für die Schulkinder haben die wenigen Tage Schule etwas gebracht, was hoffentlich haften bleibt:  die unerwartet große Freude über das Wiedersehen, die Herzlichkeit der Lehrer, der Sinn der Institution Schule über Noten und Druck hinaus. Und dass kleine Gruppen das Leben aller Beteiligten bereichern. Eine halbe Stunde Geschichte mit der halben Klasse entspreche zwei Stunden mit der ganzen, hat eine Lehrerin gesagt, und wie schön wäre es, wenn daraus etwas gelernt wird.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2020)

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