Morgenglosse

Wenn Wiens Grüne gratulieren...

Der jüngste Wahlerfolg der französischen Grünen entzückt auch ihre Parteikollegen in Österreich. Es wäre ihnen dringend angeraten, sich die teils abstrusen Positionen ihrer Mitstreiter in Frankreich genauer anzusehen.

Die „grüne Welle“ bei den französischen Kommunalwahlen am vorigen Wochenende hat - wen wundert's? - auch grüne Herzen in Österreich höher schlagen lassen. „Mes félicitations“, gratulierte beispielsweise Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein via Twitter. Es sei „ein wichtiges Ergebnis für den Klimaschutz“, dass Großstädte wie Lyon, Bordeaux, Marseille und Straßburg nun grüne Bürgermeister erhalten hätten.

Doch wenn die Flutwelle sich zurückzieht, zeigt sich, wer unten ohne im Badewasser plantschte. Ziemlich nackt steht insofern in Hinblick auf den Klimaschutz Grégory Doucet da, der neue Bürgermeister von Lyon. Der erklärte im Interview mit der italienischen Zeitung „La Stampa“, dass der Bau der Hochleistungsbahnstrecke Lyon-Turin beendet werden sollte. „Die bestehende Linie ist ausreichend. Investieren wir zuerst da und im Rest Frankreichs“, erklärte er. Frankreich zuerst, la France d'abord? So ein nationalistisches Denken wollen wir Herrn Doucet nicht unterstellen. Zumal Emissionen bekanntlich keine Grenzen kennen. Die würde die aufgewertete Verbindung dank eines 57,5 Kilometer langen Tunnels stark reduzieren. Stichwort: Alpentransit, Schiene statt Landstraße. Binnen zwei Stunden könnten Fahrgäste zwischen den beiden florierenden Wirtschaftsmetropolen pendeln, die etwas mehr als 300 Kilometer voneinander entfernt sind.

Schon paradox: einerseits wollen die Grünen in aller Herren Länder das Fliegen verbieten oder zumindest so teuer und beschwerlich wie möglich machen. Am Mittwoch schlug beispielsweise Doucets Parteikollegin Delphine Batho vor, jedem Bürger ein Kontingent an Emissionsrechten zuzuteilen. Staatlich rationierte Flugreisen: das trauen sich bisher nicht einmal die Wiener Grünen vorzuschlagen. Andererseits aber spricht sich hier einer der neuen grünen Stars gegen den Ausbau einer Bahntrasse aus, die genau jene problematischen Kurzstreckenflüge obsolet machen würde (zum Glück liegt dieser Bau nicht in seiner Zuständigkeit).

Das ist nicht die einzige Widersprüchlichkeit im politischen Denken, Reden und Tun der Grünen. Man nehme die Atomkraft, ihr Herzensanliegen. Zweifellos eine problematische Technologie, die riskant ist und noch immer keine Antwort auf die Frage parat hat, wohin der Atommüll soll. Doch wenn man Atomkraftwerke abschaltet, ohne Ersatz für sie vorbereitet zu haben, passiert das, was sich nun im Elsaß begibt: die Stilllegung des AKW Fessenheim wird Frankreich dazu nötigen, im Winter deutschen Kohlestrom zu importieren.

Und wenn man sich die Haltung der französischen Grünen zur 5G-Technologie ansieht, öffnet sich die Falltür in den Keller der Obskuranten. „5G stellt Probleme der öffentlichen Gesundheit dar“, verkündete Anne Vignot, frisch gewählte neue Bürgermeisterin von Besançon. „5G verbraucht extrem viel Energie“, behauptet der grüne Generalsekretär, Julien Bayou. Beides ist Humbug. Genauso wie Homöopathie und Impfgegnerschaft, die Steckenpferde führender französischer Grüner wie Michèle Rivasi, deren Nummer zwei im Europaparlament.

Mitgehangen, mitgefangen? Natürlich nicht. Doch Österreichs Grüne wären gut beraten, sich genau anzuschauen, wem sie hier zujubeln - und ob da nicht Dinge vertreten werden, die ihren Zielen einer nachhaltigeren, gerechteren Welt im Wege stehen.

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