Ökologie

Sogar auf den Berggipfeln sind Insekten chemisch belastet

Foto: LfU/Korbinian
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Österreichische und deutsche Forscher messen erstmals die Auswirkung von langlebigen Schadstoffen auf Insekten in den Alpen. Die problematischen Substanzen werden über weite Strecken vertragen und reichern sich in unberührter Natur besonders an.

Lebewesen in den hohen Alpen haben es eh schon schwer durch den Klimawandel: Berechnungen der Uni Innsbruck zeigen, dass alpine Insekten mit steigender Temperatur immer weniger optimalen Lebensraum zur Verfügung haben – denn irgendwann können sie nicht weiter in Richtung der kühlen Berggipfel wandern. „Und dann kommen noch die POPs dazu, die den Insekten das Hackl ins Kreuz hauen“, sagt Florian Steiner, der mit seiner Frau, Birgit Schlick-Steiner, am Institut für Ökologie der Uni Innsbruck arbeitet.

POP ist die Abkürzung für Persistent Organic Pollutants, also langlebige organische Schadstoffe, die einerseits als Insektenvernichtungsmittel wie Chlorkohlenwasserstoffe oder DDT in die Umwelt gelangen, andererseits aber auch in Produkten wie Notebooks und Sportkleidung stecken bzw. als giftige Nebenprodukte bei Herstellungs- und Verbrennungsprozessen entstehen.

Werden kaum abgebaut und sammeln sich an

Weil sie als Gas und Staubpartikel vertragen werden, findet man eine Vielzahl von POP-Verbindungen auf der ganzen Welt, auch dort, wo viele dieser Gifte längst verboten sind. Sie sind langlebig, werden also kaum abgebaut und sammeln sich in der Natur an. Das EU-Projekt ProtectAlps misst erstmals die Auswirkungen von POP-Schadstoffen auf die Insekten der Alpen: auf der deutschen Zugspitze und dem österreichischen Sonnblick, also weit weg von anderen umweltschädlichen Einflüssen wie intensiver Landwirtschaft und Industrie.

Das Überwachungsprogramm der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) hat am Sonnblick-Observatorium seit 2005 über hundert potenziell problematische Chemikalien in der Luft und im Niederschlag gefunden. Ein kleines Team um die Dissertantin Veronika Hierlmeier sammelt hier nun seit zwei Jahren Hummeln, Ameisen und Totengräber-Käfer auf 2000 Meter Seehöhe. Die Insekten werden chemisch analysiert, um zu messen, wie viele von welchen POPs in ihnen vorkommen. Zugleich untersuchen die Forscherinnen die Anatomie der Insekten, um Deformationen und Wachstumsschäden zu erkennen. „Als molekulare Ökologinnen gleichen wir dabei auch die DNA der Individuen ab, um auszuschließen, ob Deformationen von Inzucht stammen“, sagt Birgit Schlick-Steiner.

Die Forscher betonen, dass es gar nicht leicht war, reichlich Biomasse zu sammeln: Denn pro Chemie-Analyse sind 40 Gramm Insektenmaterial erforderlich, das ist so viel wie ein Schokoriegel. „Mit kleinen Mücken bekommt man die Menge nie zusammen“, sagt Florian Steiner. Daher fokussieren sie auf große, schwere Hummelarten, auf Ameisen, die zu Zigtausenden pro Nest vorkommen, und auf Totengräber-Käfer, die man mit Geruchsfallen in ausreichender Zahl anlocken kann. „Bisher gab es kaum Informationen, wie sich POPs auf landlebende Insekten auswirken: Die Anreicherung dieser Schadstoffe ist eher in aquatischen Insekten und Fischen untersucht“, sagt Steiner. Und der Großteil der Hunderten Studien, die seit den 1950er-Jahren die Wirkung von POP auf Gliederfüßer (Insekten, Spinnen, Krebse und mehr) behandelte, zielte darauf ab, den Tieren zu schaden: Sie testeten, wie viel POP man braucht, um Malaria-Überträger oder Kulturschädlinge zu vernichten.

„Erschreckend hohe Werte“

Dieses Projekt will jedoch herausfinden, wie stark die Schadstoffgruppe heute zum weltweiten Insektensterben beiträgt, das durch den Klimawandel, die intensivierte Landwirtschaft und den Verlust von Lebensräumen immer akuter wird. „Die Ergebnisse der chemischen Analysen zeigen erschreckend hohe Werte“, sagt Schlick-Steiner. Sogar in den Hummeln, die sich rein pflanzlich ernähren, fanden sich POP-Anreicherungen, die sonst aus der Leber von räuberischen Säugetieren bekannt sind. Auch in den Ameisen, die sowohl pflanzliche als auch tierische Nahrung aufnehmen, entdeckten die Forscher insgesamt 35 Substanzen, darunter z. B. Spuren von Flammschutzmitteln und Quecksilber. Die Analyse der aasfressenden Käfer ist noch ausständig. Das Projekt ist eine Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt und läuft noch bis 2021: Die Forscher hoffen, den Zusammenhang der Schadstoffe mit dem globalen Insektensterben dann besser zu verstehen.

IN ZAHLEN

3 Insektengattungen werden im EU-Projekt ProtectAlps untersucht: Bombus (Hummeln), Formica (Ameisen) und Nicrophorus (Totengräber-Käfer). An Flügeln und Köpfen messen die Forscher Asymmetrien, die auf Deformationen hinweisen.

35 POP-Substanzen fanden sich bisher in den Insekten. POP sind Persistent Organic Pollutants (langlebige organische Schadstoffe), die sich durch Luft und Regen weltweit verbreiten und in Pflanzen und Tieren anreichern. Das Überwachungsprogramm der ZAMG fand bereits 100 solcher Problemstoffe am Sonnblick-Observatorium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2020)

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