Filmkritik

„Zombi Child“: Voodoo im Mädcheninternat

Fanny (Louise Labeque) und Mélissa (Wislanda Louimat) veranstalten heimliche mitternächtliche Treffen im Schuldepot des katholischen Internats.
Fanny (Louise Labeque) und Mélissa (Wislanda Louimat) veranstalten heimliche mitternächtliche Treffen im Schuldepot des katholischen Internats.(c) Polyfilm
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In „Zombi Child“ verquickt Bertrand Bonello haitianische Mythologie und französische Kolonialgeschichte zu einem Gebräu aus Teenie-Film, Polit-Drama und Grusel.

Armer Zombie! Einst wankte der lebende Leichnam stolz über die Leinwand, eine Galionsfigur des modernen Horrorkinos. Und heute? Müde schleppen sich ausrangierte Untote durch lustlose Dutzendfilme: Abgenudelte Symbolfiguren, die kein Kleinkind mehr schrecken, gerade gut genug für Spott und Serienstaffage. Was ist passiert? Natürliche Abnutzung, klar. Aber auch Verdrängung mythischen Potenzials.

Denn die popkulturelle Verwurstung des Zombies zur Allzweckmetapher für Allerweltsprobleme wie Konsumismus und Massenhysterie kaschiert seine Ursprünge. Im haitianischen Volksglauben bezeichnet „Zombi“ einen wiederbelebten Kadaver, per Voodoo-Zauberei zum willfährigen Sklaven transformiert: Ein Bann, der sich auch rückgängig machen lässt. Kein belangloses Konzept in einem Land, wo gnadenlose Ausbeutung lang zum Alltag gehörte.

Eben dieses Zombie-Substrat nährte frühe Meisterwerke des Genres: „I Walked with a Zombie“ (1943) von Jacques Tourneur, John Gilling „The Plague of the Zombies“ (1966). Nun zapft es auch der vielseitige französische Filmemacher Bertrand Bonello an. Wobei seine jüngste Arbeit „Zombi Child“ (die letztes Jahr in Cannes Premiere feierte und jetzt in Österreich zu sehen ist) im Grunde überhaupt kein Horrorfilm ist. Stattdessen mischt sie ein eigenwilliges Gebräu aus teilweise gegenläufigen Versatzstücken: Grusel, Teenie-Film, Polit-Drama.

Haiti, 1962: Ein Mann bricht auf der Straße zusammen. Und wird nach seinem Begräbnis von Sklaventreibern exhumiert: Untotes Menschenmaterial für die Zuckerplantagen. Doch die Erinnerung an sein Vorleben flackert ihm noch in den Augen. Paris, Jahrzehnte später: Ein katholisches Elite-Internat für Töchter nationaler Würdenträger. Solide Allgemeinbildung mit Hofknicks und Uniform. Aber auch Jugendnormalität. Fanny (Louise Labeque) hat Schmetterlinge im Bauch, schreibt ihrem Sommerflirt sehnsuchtsvolle Briefe. Und schielt zu ihrer Klassenkameradin Mélissa (Wislanda Louimat), die nicht nur durch ihre Hautfarbe auffällt.

Vom Diktator missbrauchte Sagenwelt

Vielleicht wäre sie ja ein würdiges Mitglied für Fannys Schwesternschaft, die heimliche Mitternachtstreffen im Schuldepot abhält? Und kennt als Haitianerin jemanden, der Herzeleid kurieren kann? Eine Exotisierung, die der Film keinesfalls mitvollzieht, sondern als naiven Impuls eines verliebten Mädchens kennzeichnet. Fanny träumt: Ihr Schatz im Wald, halb nackt und mit Motorrad. Hach, wäre er nur auf ewig mein! Gefühle, die der Humanist Bonello genauso ernst nimmt wie die widersprüchliche politische Bedeutung der Voodoo-Religion für Mélissa und ihre Familie. Zu der auch der Untote aus den Anfangsszenen gehören.

Die Sagenwelt rund um mächtige Geister, wie den adretten Totenwächter Baron Samedi, wurde einerseits von Diktator François Duvalier als Unterdrückungsinstrument missbraucht. Sie spielte aber auch eine emanzipatorische Rolle im Befreiungskampf der Haitianischen Revolution. In „Zombi Child“ schwingt beides mit. Ebenso wie die vertrackte Beziehung zwischen Frankreich und der einstigen „Perle der Antillen“: Deren Aufbegehren gegen brutale Kolonialherrschaft war maßgeblich von Menschenrechtsideen beeinflusst, die der französische Kolonisator selbst in seiner Verfassung verankert hatte. Wenn Mélissa im Traum ihre Klassenkolleginnen blutig beißt, geht es nicht zuletzt um die Kontinuitäten dieses schmerzhaften Spannungsverhältnisses.

„Zombi Child“ verwebt all das wie nebenbei, bleibt weithin ruhig, leicht entrückt, vage unheimlich: Wie das Halbdunkel der haitianischen Nachtszenen, die mit natürlichem Licht gedreht wurden. An der reservierten Ästhetik und am gemächlichen Erzähltempo merkt man, dass es sich um eine vergleichsweise kleine, unabhängige Produktion handelt. Die, abgesehen von einer ekstatischen Parallelmontage, leider nie richtig abhebt. Und dennoch berührt. Besonders, als die Einsamkeit des Langstreckenzombies ein utopisches Ende nimmt, zu den Klängen von Gerry & The Pacemakers: „Walk on, walk on / With hope in your heart / And you'll never walk alone“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2020)

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