Streit bei Bosniens Serben über Referendum

Streit Bosniens Serben ueber
Streit Bosniens Serben ueber(c) REUTERS (THOMAS PETER)
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Nationalisten denken nach IGH-Gutachten über Abspaltung von Bosnien nach, Liberale sind dagegen.

Sarajewo. Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag über die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo hat im serbischen Landesteil von Bosnien und Herzegowina heftige Reaktionen ausgelöst. Die nationalistischen Parteien leiten allesamt aus dem Den Haager Urteil das Recht für die sogenannte „Republika Srpska“ ab, ein Referendum abzuhalten, um sich nun ihrerseits von Bosnien und Herzegowina abzuspalten. Demokraten, Liberale und Linke unterstützen diese Position allerdings nicht.

„Das Urteil habe sezessionistische Bestrebungen in der gesamten Welt gestärkt“, erklärte der Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Mladen Bosić, der erst kürzlich dem Ex-Vorsitzenden seiner Partei, Radovan Karadžić, einen Orden verliehen hatte. Karadžić steht derzeit wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen vor dem Haager UN-Tribunal. „Wenn die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten den Kosovo diplomatisch anerkennen sollte, werden wir die Resolution des Parlamentes der Republika Srpska aus dem Jahre 2008 aktivieren und das Prozedere für die Volksabstimmung über die Abspaltung von Bosnien einleiten“, sagte Bosić.

Entscheidung nach den Wahlen

„Hypothetisch kann die Serbenrepublik jetzt das machen, was auch die Albaner gemacht haben“, erklärte der Regierungschef der Republika Srpska, Milorad Dodik, der Zeitung „Danas“. Dodik kündigte an, die bosnischen Serben würden die Frage nach den Wahlen am 3.Oktober beraten. „Wir sind enttäuscht darüber, was mit Serbien geschieht, und ich bin sicher, dass das nicht ohne Folgen für Bosnien bleiben wird.“

Dagegen erklärte der Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei, Dragan Čavić, lediglich, das Gutachten werde sezessionistische Bestrebungen in Bosnien und Herzegowina stärken. Er protestierte jedoch gegen das Urteil nicht. Der Serbe Čavić befürchtet aber, das Haager Gutachten könnte in der Republika Srpska die Wahlkampagne seiner politischen Gegner im nationalistischen Lager beflügeln. Der Vorsitzende der Neuen Sozialistischen Partei und Bürgermeister von Foča, Zdravko Krsmanović, der in der Republika Srpska ein oppositionelles Parteienbündnis anführt und Dodik stürzen will, hofft, dass die Wähler sich von der nationalistischen Rhetorik nicht beeinflussen lassen und der „korrupten“ Führung die Rote Karte zeige.

Man könne nicht Äpfel und Birnen vergleichen, heißt es bei bosnischen Kroaten und Bosniaken. Das Mitglied des Parlamentes der Republika Srpska und Vertreter der „Partei für Bosnien“, Muharem Murselović, meint, man könne das IGH-Gutachten zu Kosovo keinesfalls auf Bosnien übertragen. Die Teilstaaten in Bosnien und Herzegowina hätten gar nicht das Recht, derartige Volksabstimmungen abzuhalten, erklären zudem bosnische Verfassungsrechtler.

„Spiel mit dem Feuer“

„Kosovo hatte einen autonomen Status im alten Jugoslawien und war den Republiken gleichgestellt. Zudem wurden die Kosovo-Albaner seit 100 Jahren von Serben unterdrückt“, so der Menschenrechtler Zvonimir Čičak. Die Republika Srpska sei durch Mord, Genozid und Vertreibung geschaffen worden und nicht vergleichbar mit Kosovo, so der Tenor der bosniakischen und kroatischen Presse.

Beobachter meinen, die Diskussion sei auch eine Chance und böte nicht nationalistischen Parteien die Möglichkeit, auf die Gefahren der nationalistischen Politik hinzuweisen. Eine Volksabstimmung sei ein Spiel mit dem Feuer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2010)

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