Thaçi: "Kosovo-Urteil ist auch im Interesse Serbiens"

Thai KosovoUrteil auch Interesse
Thai KosovoUrteil auch Interesse(c) Michaela Bruckberger
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Der kosovarische Premier Hashim Thaçi erwartet, dass nun alle EU-Staaten den Kosovo anerkennen. Mit Serbiens Präsident Tadić will er über eine "Zusammenarbeit zwischen gleichberechtigten Staaten" beraten.

„Die Presse“: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat in seinem Gutachten die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo als legal bezeichnet. Was sind jetzt die nächsten Schritte Ihrer Regierung?

Hashim Thaçi: Mit dem klaren Gutachten des Gerichtshofes wurde ein neues Kapitel für den Kosovo und die gesamte Region eröffnet. In der näheren Zukunft wird sogar Serbien verstehen, dass dieses Gutachten auch in seinem Interesse ist. Denn dadurch wurde der Nebel in der serbischen Politik gelichtet. Wir erwarten uns nun eine Reihe neuer Anerkennungen. Ich erwarte, dass die EU jetzt einig reagiert und die fünf EU-Staaten, die das bisher nicht taten, unsere Unabhängigkeit anerkennen. Denn für sie gibt es jetzt keinen Grund mehr, zu zögern.

Spanien hat aber angekündigt, den Kosovo trotz Gerichtshofgutachten nicht anzuerkennen.

Thaçi: Spanien hat aber auch gesagt, dass es das Gutachten respektiert. Das ist ein erster Schritt. Jetzt ist es Zeit, eine Entscheidung zu treffen: Ich rufe Spanien dazu auf, den Kosovo anzuerkennen.

Was ist mit dem UN-Sicherheitsratsmitglied Russland? Das wird seine Meinung wohl ebenfalls nicht ändern.

Thaçi: Jetzt hat die internationale Justiz, das internationale Recht, gesprochen. Die kurzfristigen politischen Wünsche bestimmter Länder können nicht über dem internationalen Recht stehen.

Die USA und die EU haben Belgrad und Prishtina aufgerufen, das Gutachten zu nützen, um jetzt zusammenzuarbeiten. Wie könnte diese Kooperation aussehen?

Thaçi: Ich bin gerade aus Washington zurückgekehrt. Dort gibt es eine massive Unterstützung für den unabhängigen Staat Kosovo und seine territoriale Integrität. Ich rufe Belgrad zu einer Zusammenarbeit zwischen gleichberechtigten Staaten auf. Dazu sind wir bereit – aber nicht zu einem Dialog, wie ihn sich Belgrad vorstellt.

Was meinen Sie mit Dialog? Neue Verhandlungen etwa über eine Abspaltung des serbisch kontrollierten Nordkosovo, die Belgrad anstrebt?

Thaçi: Belgrad hat eine destruktive Rolle gespielt. Ich werde nicht zulassen, dass wir mit Serbien über unsere innenpolitischen Angelegenheiten verhandeln. Wir werden das Ahtisaari-Dokument implementieren. Im Nordkosovo haben wir ein Regierungsbüro eingerichtet, das für Serben und Albaner arbeitet. Das ist der erste Schritt nach elf Jahren, um die Autorität der Kosovo-Behörden auf diesen Teil des Staates auszubreiten. Das Gericht in Mitrovica wird rasch eröffnet, damit es gegen Banditen aus allen Ethnien vorgeht.

Belgrad hat auch nach dem Gutachten bekräftigt, niemals die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Es entsendet nun mehr als 50 Emissäre in alle Welt, um neue Anerkennungen zu verhindern.

Thaçi: Sie können gerne Exkursionen machen. Aber es wäre besser, wenn sie ihr Geld für den Wohlstand der serbischen Bürger ausgeben und nicht für Hotels in aller Welt. Denn sie werden damit keinen Erfolg haben – ebenso wenig wie vor dem Internationalen Gerichtshof. Die beste Lösung wäre, dass Belgrad jetzt die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt.

Aber danach sieht es gar nicht aus.

Thaçi: Das wird eben noch etwas dauern. Aber ich weiß, dass sie anfangen, darüber nachzudenken. Über dieses Interview möchte ich Serbiens Präsidenten Tadić aufrufen, dass wir uns treffen, um eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit vorzubereiten. Eines Tages wird das ohnehin geschehen müssen. Also besser früher als später.

Serbiens Premier hat gemeint, das Gutachten des Gerichtshofes gehe am Kern des Problems vorbei. Denn es wird nur festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht illegal war. Über das Recht auf Sezession wird aber nichts gesagt.

Thaçi: Ich verstehe die Enttäuschung der offiziellen Vertreter in Belgrad. Aber sie haben selbst die Antwort beim Internationalen Gerichtshof erbeten – und sie haben sie bekommen. Jetzt versuchen sie, sich in Serbiens Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Aber niemand soll sich als Gewinner und Verlierer fühlen. Ich habe mich an die Serben im Kosovo – unsere Staatsbürger – gewandt und klargemacht, dass das Gutachten nicht gegen sie gerichtet ist. Kosovo ist Heimatland aller seiner Bürger.

Die Behörden des Kosovo und die EU-Rechtsstaatsmission Eulex haben eine Offensive gegen Korruption gestartet. Dabei gab es auch Ermittlungen in Ministerien.

Thaçi: Der Kampf gegen Korruption und Kriminalität hat jetzt begonnen. Ich habe unseren Bürgern und unseren Freunden in Brüssel und Washington garantiert, dass die Behörden des Kosovo im Kampf gegen Korruption an vorderster Front stehen.

Aber es sind auch Leute in Ministerien in Verdacht geraten.

Thaçi: Man muss Politik von Justiz trennen. Alle sind vor dem Gesetz gleich. Die Justiz macht ihren Job, und die Politik macht ihren Job.

Der Kosovo war in österreichischen Medien zuletzt vor allem wegen des Falles von Arigona Zogaj präsent.

Thaçi: Wir respektieren in diesem Fall die Entscheidungen der österreichischen Institutionen.

Die Familie Zogaj wollte nicht in den Kosovo zurück, weil sie dort keine Perspektive für sich sieht.

Thaçi: Die Erwartungen der Menschen waren nach der Unabhängigkeit groß. Aber die Entwicklung des Landes braucht Zeit. Die beste Antwort der EU auf solche Fälle wäre, dass die Kosovaren möglichst bald am europäischen Markt teilhaben können.

AUF EINEN BLICK

Hashim Thaçi startete seine Karriere während des bewaffneten Kampfes gegen die serbischen Truppen im Kosovo. Er war politischer Chef der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK. Kritiker werfen ihm vor, in dieser Zeit auch Gegner in den eigenen Reihen mit besonderer Härte ausgeschaltet zu haben. Nach dem Einmarsch der Nato im Kosovo 1999 wurde der UÇK-Chef Übergangspremier, musste aber später diesen Platz wieder räumen. Seit 2007 ist er erneut Regierungschef des Kosovo.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2010)

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