Roman

Die Wahrheit ist relativ

Daniel Zipfel: „Die Wahrheit der anderen“
Daniel Zipfel: „Die Wahrheit der anderen“Kremayr & Scheriau
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Daniel Zipfel demonstriert am Fallbeispiel pakistanischer Asylwerber, wie beliebig und skrupellos mit Fakten umgegangen werden kann.

„Wissen Sie, wer die Wahrheit erfunden hat? Ein Lügner!“ Dieser Kernsatz taucht in Daniel Zipfels beeindruckendem Roman „Die Wahrheit der anderen“ erst gegen Ende auf. Das macht aber nichts, denn bis dahin hat man die Botschaft längst verstanden und ist entsprechend deprimiert. Denn in der Welt anno 2013, die Zipfel zwischen Wiener Minoritenplatz und Zeitungsredaktion Revue passieren lässt, ist alles relativ. Fakten werden geschaffen und haben nur so lang Bestand, bis sie durch eine Version ersetzt werden, die gerade irgendjemandem besser ins Konzept passt.

Als Fallstudie dient eine Gruppe pakistanischer Flüchtlinge, die für eine Aufenthaltserlaubnis in Österreich demonstriert. Dabei kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei, und eine junge Frau, Veena Shahida, wird zum Inbild des Protests. Der bald darauf ausufert und in einer Kirchenbesetzung samt Hungerstreik endet.

Die Antagonisten in diesem Spiel mit der Wahrheit sind der skrupellose Boulevardjournalist Uwe Tinnermans, der den Protest für eigene Karrierezwecke befeuert, und die todkranke Anwältin Birgit Toth, die Veena Shahida vertritt und für diese eine Zusage für einen Aufenthaltstitel in der Tasche hätte. Dafür aber muss Veena als Hascherl auftreten und nicht als Kämpferin für Entrechtete.

Autor Daniel Zipfel weiß, wovon er schreibt, ist er doch Jurist in der Asylrechtsberatung in Wien. Deshalb wohl auch der realistische Blick – was diesem über-emotionalisierten Thema nur guttut. DO

Daniel Zipfel: „Die Wahrheit der anderen“, Kremayr & Scheriau, 224 Seiten, 19,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2020)

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