Unterwegs

Fernweh

Die Aufrufe zum Urlaub zu Hause lassen es erst recht nach der Ferne gelüsten.
Die Aufrufe zum Urlaub zu Hause lassen es erst recht nach der Ferne gelüsten.APA/AFP/GETTY IMAGES/Sean Rayfor
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Die Aufrufe zum Urlaub zu Hause lassen es erst recht nach der Ferne gelüsten.

Es liegt auf der Hand: Wenn eine Pandemie allerorten Infektionsnester aufflackern lässt, ist das grenzüberschreitende Reisen eine haarige Angelegenheit. Einerseits aus Gründen der öffentlichen Sicherheit: Will der Staat es riskieren, dass Heimkehrer eine Covid-19-Ansteckung mitbringen (asymptomatisch gar, womit kein Fiebermessen an der Grenze oder im Flughafen nutzt)?

Zur Erinnerung: In Belgien, wo ich lebe, lässt sich der explosionshafte Ausbruch der Seuche auf die Rückkehr von den Faschingsferien Anfang März zurückdatieren. Andererseits grübelt der Bürger aus höchstpersönlichen Gründen darüber, wohin er heuer auf Sommerurlaub fahren soll: Will ich meine Familie der Gefahr aussetzen, im Ausland unter Quarantäne oder gar medizinische Aufsicht gesetzt zu werden?

Das sind ernsthaft zu erwägende Fragen. Ich kenne in meinem Freundeskreis niemanden, der nun leichten Herzens an die soeben angebrochene Ferienzeit denkt. Dennoch empfinde ich die allerorts verlautbarten Aufrufe zum Urlaub in der Heimat als Übergriffigkeit. Kein Bundeskanzler, kein Minister, kein Wirtschaftskammerhäuptling hat mir zu erklären, wo ich mich zu erholen habe.

Gewiss ist dieser Sommer eine Gelegenheit, Orte zu erkunden, die man bisher achtlos überging, weil es einen in die exotischer scheinende Ferne zog. Doch der Plan, seine Heimat neu zu entdecken, geht weder die Politik noch die Behörden etwas an. Je öfter zum patriotischen Urlauben getrommelt wird, desto größer wird die Sehnsucht nach dem Ausland. Ferien sind schließlich auch eine Gelegenheit, der Soße, in der man täglich köchelt, wenigstens kurz zu entsteigen.

oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2020)

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