Mein Dienstag

Horoskop

Ich kann mich wirklich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Horoskop gelesen habe, hole das aber umgehend nach.

Eine Freundin sagt, sie habe es geschafft, ihre Erwartungen für dieses Jahr auf null zu reduzieren, dann könne man sich wenigstens ehrlich freuen, wenn etwas Gutes passiere. Wegfahren werde sie auch nicht, denn laut ihrem Horoskop warte auf sie im zweiten Halbjahr ein Geldregen, und da müsse man doch zu Hause bleiben für die Dollarnoten, die vom Himmel fallen, sie würde nicht darauf wetten, dass es der Geldregen bis nach Lignano schafft. Ich stimme ihr zu, als Geldregen würde ich auch nicht nach Lignano wollen, aber ich muss etwas betreten nachfragen: „Du liest Horoskope?“ Gern als Zeitvertreib, sagt sie. Einfach nur, um zu sehen, was sich studentische Schreibtischpoeten alles einfallen lassen können.

Ich kann mich wirklich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Horoskop gelesen habe, hole das aber umgehend nach. In einer Frauenzeitschrift erfahre ich: „Im Moment dominiert leichtes Summerfeeling bei Ihnen, und Sie verfügen über eine tolle Kondition. Merkur liefert starke Nerven und die Sonne Lebenskraft und Zuversicht. Zudem können Sie fast auf Knopfdruck entspannen und merken besser als an anderen Tagen, was Ihnen auf lange Sicht gut bekommt.“ Schau, da hat jemand verschlafen, dass wir mitten in einer Pandemie stecken. Tolle Kondition? Das letzte Mal habe ich im März Sport gemacht und seither eigentlich durchgehend . . . gegessen. Außerdem dominieren derzeit viele feelings, aber mit summer haben sie nichts zu tun, denn heute mag es 30 Grad haben, aber dafür schüttet es die nächsten drei Tage wieder einmal durch. Merkurs starken Nerven muss ich auch entschieden widersprechen: Auf dem Marktplatz meines Vertrauens trägt kaum jemand mehr Mund-Nasen-Schutz, alle Abstandsregeln sind vergessen, vor dem Standler bilden sich dichte Trauben, und die spitzen Ellbogen sind wieder im Einsatz. Alle zwei Tage schmeiße ich genau hier die Nerven weg, es ist wirklich zum Verzweifeln, ich gehe da als Pazifistin rein und komme als Warlord wieder raus.

Aber ich will nicht nachtragend sein. Merkur ist auch nur ein Planet.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

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