Hirnlos gegen den „Mohr“ im Namen

In Berlin wird eine U-Bahn-Station umbenannt. Allerdings ist unsicher, woher der Straßenname kommt: von einem Schwarzen im Dienst eines Grafen? Oder von zur Arbeit hergebrachten Männern aus dem kolonialisierten Westafrika?
In Berlin wird eine U-Bahn-Station umbenannt. Allerdings ist unsicher, woher der Straßenname kommt: von einem Schwarzen im Dienst eines Grafen? Oder von zur Arbeit hergebrachten Männern aus dem kolonialisierten Westafrika?(c) imago images/tagesspiegel (Kitty Kleist-Heinrich TSP, via www.imago-images.de)
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Warum man vielleicht bald nicht mehr Moretti heißen darf, die Sturmläufer gegen „Mohrenapotheken“ am Ende Muslime diskriminieren und der nur vermeintlich antirassistische Protest auf Morcheln und Goldfische vergisst.

In der Schweiz fliegen die „Moretti“ aus den Regalen, in Wien nennt sich eine „Mohrenapotheke“ um, zwei Wiener „Mohrengassen“ werden wieder zum Skandalon. Ja, es gibt viel zu tun, will man das Wort „Mohr“ aus Namen entfernen. Es steckt in Gasthäusern, Apotheken, Brunnen, Brauereien, Straßennamen . . . Und die Säuberung der öffentlichen Sphäre von angeblich rassistischen, Gefühle verletzenden Namen wird eine langwierige Angelegenheit. Immerhin steckt das M-Wort auch in einer Fülle von Tier- und Pflanzennamen.

Von Geschichtsbewusstsein soll die Umbenennungswut zeugen. Sie ist im Gegenteil historisch ahnungslos. Ja, es gibt Ausnahmen: Dass die Berliner Verkehrsbetriebe jetzt ihre U-Bahn-Station „Mohrenstraße“ in Glinkastraße umbenennen – warum nicht? Zumindest eine von drei möglichen Erklärungen bringt den Namen mit im deutschen Kolonialismus hergebrachten westafrikanischen Arbeitern in Verbindung.

Aber wie ist es mit der „Großen Mohrengasse“ und der „Kleinen Mohrengasse“ in Wien Leopoldstadt? Namensgebend dafür war das Haus „Zum großen Mohr“, das später auch ein „Mohrenbierhaus“ beherbergte und sich heute an der Adresse Rotensterngasse 18 befindet. Man vermutet, dass der Name vom Afrikaner Joseph Mahlizky kommt, der hier Anfang des 18. Jahrhunderts wohnte und – in damals noch nicht diskriminierender Absicht – als „Mohr“, also Dunkelhäutiger bezeichnet wurde. Ein Zusatzschild soll hier nun angebracht werden. Das ist auch die Lösung, die der Historikerbericht über Wiens Straßennamen fast immer einer Umbenennung vorzieht. Und so wird sich Wien an den Afrikaner Joseph Mahlizky auch besser erinnern als mit jeder Umbenennung – selbst in Mahlizky-Straße.

Aus Respekt vor islamischer Pharmazie

Infoschilder für Bildungsnachhilfe wären aber vor allem bei Apotheken von Vorteil, die den „Mohren“ im Namen tragen. Auch gegen sie wird derzeit Sturm gelaufen, und mit Effekt. Vor wenigen Tagen hat die Wiener „Mohrenapotheke“ in der Wipplingerstraße angekündigt, ihren Namen zu ändern. Dabei ist die Tradition des „Mohren“ in unzähligen alten Apothekennamen in Deutschland und auf dem Gebiet des ehemaligen Habsburgerreichs das Gegenteil von Diskriminierung: Sie zeugt von der Hochachtung für die Leistungen islamischer Heilkunde – der „Mauren“. Diese brachten im Mittelalter moderne Pharmazie aus Afrika und Südspanien nach Nordeuropa.

„Mohren“-Apotheken, -Gasthäuser und andere Lokalitäten sind aber auch nach christlichen Heiligen benannt, allen voran dem heiligen Mauritius, einem der wichtigsten Heiligen des Heiligen Römischen Reichs (die vielen schwarzen Frauen- und Männerköpfe auf Wappen haben ebenfalls meist mit ihm zu tun). Den „Mohren“ aus Apothekennamen zu entfernen ist im Übrigen kein geringfügiger Eingriff ins historische Erbe. Viele dieser Unternehmen gehören zu den ältesten Europas. Die 1350 gegründete Wiener „Mohrenapotheke“ ist eine der drei ältesten in Wien, die bekannte „Mohren-Apotheke“ in der Altstadt von Nürnberg überhaupt die älteste der Stadt – sie wurde in den vergangenen Jahren mit Farbbeuteln beworfen, Schaufenster wurden eingeschlagen, die „Mohren-Apotheke“ zur „Möhren-Apotheke“ gemacht.

Welch ein Glück, dass die Möhre etymologisch nichts mit „Mohr“ zu tun hat! Doch Flora und Fauna mit schwarzer Färbung bieten auch so ein weites Feld für vermeintlich antirassistische Umbenennungsarbeit. Die Morcheln („kleine Möhren“), deren Arten teilweise dunkle Köpfchen haben, könnten vom vulgärlateinischen Wort mauricula für „kleine Mohrin“ beeinflusst sein. Weg müssten konsequenterweise etwa die Namen Mohrenpfeffer, Mohrenhirse, Mohrensalbei, Mohrenmalve. In der Tierwelt zum Beispiel: Mohrenkopf, Mohrenkopfpapagei, Mohrenfalter, Mohrenkaiman, Mohrenaffe, Mohrenmakak, Mohrenmaki, Mohrenpirol, Mohrenhonigfresser, Mohrenschwarzkehlchen, Mohrenweihe . . . Nicht zu vergessen im Englischen der Black Moor Goldfish.

Gegen „gewalttätige Süßigkeiten“

Während um den österreichischen Dessertklassiker Mohr im Hemd schon lang gestritten wird, hat die Schweizer Handelskette Migros vor wenigen Tagen das „Mohrenköpfe“ genannte Schaumgebäck des Aargauer Unternehmens Dubler aus den Regalen entfernt. Ein „Komitee gegen gewalttätige Süßigkeiten“ hatte eine Online-Petition dazu gestartet. Auch hier wieder zeigt sich: Beginnt man erst einmal so richtig mit der Sprachsäuberung, wird man nicht mehr fertig. So hatte die Firma Migros übersehen, dass in dieser Logik auch ihre eigenen, in drei Sprachen angeschriebenen Schaumküsse rassistisch gewertet werden könnten: Sie heißen auf Italienisch „Moretti“ (was dunkelhaarige Buben ebenso wie „kleine Mohren“ heißen kann). Migros sucht nun auch dafür einen neuen Namen.

Womit wir im österreichischen Kulturbetrieb angelangt wären. Vom italienischen Wort für dunkelhaarig, „moretto“, und einem jiddischen Wort für Arbeiter leitet sich der Familienname Moretti ab. Er kam im spätmittelalterlichen Italien unter jüdischen Einwanderern auf (die einer Theorie nach das italienische „dunkelhaarig“ mit „dunkelhäutig“ verwechselten). Wird es nun zum Affront, den Namen eines der bekanntesten österreichischen Schauspieler beworben zu sehen – noch dazu, wenn der Träger ein „privilegierter alter weißer Mann“ ist? Momentan scheint alles möglich.

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