Für Zeiten wie diese

Oscar Wilde in Reading: Zwei Jahre Haft wegen Homosexualität

Die englische Stadt Reading, letztens in den Medien, war für ihr Zuchthaus berüchtigt. Oscar Wilde wurde dort gebrochen.

Die Stadt Reading, etwa eine Autostunde westlich von London, ist in den letzten Wochen zweimal in die Schlagzeilen gekommen. Erstens durch den Anschlag eines Libyers, dem drei Menschen zum Opfer fielen. Zweitens durch das Europäische Zentrum für Wetterforschung, von dem man hofft, dass es nach Österreich übersiedeln könnte. Literarisch Interessierten ist Reading aber in einem anderen Zusammenhang bekannt: der „Ballade vom Zuchthaus zu Reading“. Hat man sie gelesen, vergisst man sie ein Leben lang nicht. Sie ist das letzte zu Lebzeiten erschienene Werk von Oscar Wilde. Dieser war auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als seine Amour fou mit dem jungen Lord Alfred Douglas begann.

Zwangsarbeit an der Tretmühle

Er hätte keine schlechtere Wahl treffen können. Sein Geliebter entpuppte sich als verzogener Sohn und hasste seinen Vater. Dieser wiederum war an Rücksichtslosigkeit unüberbietbar: ein militanter Atheist, vermögend und begeisterter Kampfsportler: Die bis heute gültigen Boxregeln gehen auf ihn zurück. Obwohl er sich kaum um seinen Dandy-Sohn gekümmert hatte, verfolgte er dessen Liebesbeziehung zu Wilde mit tiefem Hass. Privatdetektive verfolgten das Paar, und der erzürnte Vater tat alles, um Wilde in der englischen Gesellschaft bloßzustellen. Der Prozess, den der Dichter schlussendlich gegen den Vater seines Geliebten anstrengte, wurde für Wilde zur Katastrophe. Das viktorianische England schlug zu. Homosexualität war durchaus verbreitet. Wurde sie jedoch bekannt, galt sie als Verbrechen, das knapp nach dem Mord rangierte. Die Beziehungen Wildes zu männlichen Prostituierten waren nachweisbar. In einer prozessualen Schlammschlacht wurde kein Detail, nicht einmal die Beschreibung verdächtiger Spuren auf Bettlaken, ausgespart. Wilde wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt – mit Zwangsarbeit: Die Tretmühle diente als Folterinstrument. Täglich mussten entkräftete Häftlinge auf ihr bis zu 6000 Fuß, umgerechnet etwa 2000 Höhenmeter, zurücklegen. Nach zwei Jahren Gefängnis war Wilde für den Rest des Lebens ein gebrochener Mann. Immerhin hatte er nach einem Wechsel in der Gefängnisleitung in den letzten Monaten lesen dürfen: Rankes „Geschichte der Päpste“ etwa und, auf Deutsch, Goethes „Faust“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Für Zeiten wie diese

Er wurde doch nicht der erste schwarze Präsident der USA

Paul Robesons akademische Karriere, sein Prestige und seine Berühmtheit waren atemberaubend. Doch er erhielt Auftrittsverbot.
Pappfiguren in Stadion
Für Zeiten wie diese

In der Masse ist der Mensch nicht zu ertragen

Sportevents ohne Zuschauer wirken steril. Aber Massen waren mir stets suspekt, und Canetti ist bis heute gültig.
Masken verdecken Lächeln als auch finstere Mine
Für Zeiten wie diese

Ein lachender Herrscher wäre unmöglich gewesen

Auf meinen Schulfotos stehen wir Volksschüler mit todernster Miene neben dem Klassen- und Religionslehrer.
In Zeiten wie diesen

Handshake mit „Arnie“? Auch eine Frage moralischer Hygiene

Arnold Schwarzenegger hält an der Todesstrafe fest – und verachtet damit unsere Werteordnung. Ihn zu hofieren zeugt von Doppelmoral.
PRESSEFUeHRUNG ANL. NEUEROeFFNUNG 'ALBERTINA MODERN - THE BEGINNING: KUNST IN OeSTERREICH 1945 BIS 1980'
Für Zeiten wie diese

Nach der kulturellen Fastenzeit

Nach Locke verfügt der Mensch über Sinneseindrücke, aber diese kennen keinen absoluten Maßstab. Im Grunde messen wir nur Unterschiede.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.