Seehofer: Umgang der EU-Staaten mit Seenotrettung ist "nicht würdig"

Horst Seehofer war der Gastgeber der Innenminister-Konferenz der EU-Staaten.
Horst Seehofer war der Gastgeber der Innenminister-Konferenz der EU-Staaten.REUTERS
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Der deutsche Innenminister ruft die EU-Länder zu einer gerechteren Verteilung von geretteten Migranten auf. Die EU-Kommission will ihren Entwurf einer Asylreform im September vorlegen.

Mit einem Appell des deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU) an die EU-Staaten, die Verantwortung für aus Seenot gerettete Migranten gerechter zu verteilen, hat die Videokonferenz der EU-Innenminister am Dienstag begonnen. Die aktuelle Situation sei "nicht würdig" für die EU, drängte der CSU-Politiker seine Amtskollegen, darunter Karl Nehammer (ÖVP), auf eine Einigung in dem Streit.

Bisher nehme nur ein verschwindend geringer Teil der EU-Staaten
gerettete Menschen auf, so Seehofer vor dem informellen Treffen.
Auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson rief die Länder dazu auf,
eine nachhaltige Lösung zu finden. Ihrzufolge soll die Frage der
Seenotrettung auch Teil der Reformvorschläge der EU-Kommission für
die europäische Asylpolitik sein. Diese werde sie im September
vorlegen, sagte die Schwedin. Der Vorschlag sei "mehr oder weniger
fertig".

Budget ist die nächste Hürde

Zuvor müssten sich die EU-Staaten jedoch auf die gemeinsamen
Finanzen - unter anderem den Wiederaufbauplan nach der Corona-Krise
- einigen. Seehofer will das Vorhaben dann bis Ende des Jahres
vorantreiben - zu einem Abschluss der Asylreform werde es aber nicht
reichen. "Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn wir in unserer
Präsidentschaft zu den wichtigsten Punkten eine politische
Verständigung erreichen könnten", sagte er am Dienstag.

Das klappt schon seit Jahren nicht. Der deutsche Innenminister
hatte sich zwar im September 2019 mit seinen Kollegen aus Malta,
Italien und Frankreich auf eine Übergangsregelung verständigt, diese
ist aber mittlerweile ausgelaufen. Zudem beteiligten sich nur wenige
andere Länder wie Irland, Portugal und Luxemburg daran. Auch
Österreich hat sich bisher strikt gegen die Aufnahme von aus Seenot
geretteten Migranten ausgesprochen.

Immer wieder humanitäre Notfälle

Nachdem Italien und Malta in der Corona-Krise erklärt hatten, den
privaten Rettungsschiffen keinen sicheren Hafen mehr bieten zu
können, entstanden an Bord immer wieder humanitäre Notlagen. Die
Betreiber der "Ocean Viking" berichteten zuletzt von einem Hungerstreik und mehreren Suizidversuchen. Nach tagelangem Warten
durfte das Schiff mit 180 Migranten an Bord am Montag schließlich
vor dem Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien anlegen. In der Nacht
zum Dienstag verließen die Migranten das Schiff, um auf eine
Quarantänefähre zu wechseln.

Angesichts solcher Vorfälle appellierte Seehofer an die
gemeinsamen Werte der 27 EU-Staaten: "Wir sind ja nicht nur eine
Wirtschafts- und Sicherheitsgemeinschaft, sondern auch eine
Wertegemeinschaft. Und zu dieser Wertegemeinschaft gehört nach
meiner Überzeugung, dass man Menschen vor dem Tod rettet." Man könne die Aufnahme der Menschen auf Dauer nicht südlichen EU-Ländern wie Italien oder Malta überlassen.

Kickl: Seehofer gehe „Schleppern auf den Leim"

Aus Österreich kamen dazu unterschiedliche Reaktionen. "Die EU
hat nur dann eine positive Zukunft, wenn wir es endlich schaffen,
eine langfristige Lösung in der Asyl- und Migrationspolitik,
basierend auf Grund- und Menschenrechten, Solidarität und der
Verantwortung aller Mitgliedstaaten, zu erzielen", ist die
SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath überzeugt. "Durch 'freiwillige
Solidarität', an der sich nur einige wenige EU-Länder beteiligen,
werden wir die Flüchtlingsfrage nicht lösen können", teilte sie mit.

Dass Seehofer erkannt habe, dass der Streit um die aus Seenot
geretteten Flüchtlinge "einfach nur unwürdig" sei, begrüßte Vollath.
"Leider fehlt diese Einsicht immer noch einigen - zu meiner großen
Bestürzung nach wie vor auch der derzeitigen österreichischen
Bundesregierung", fügte sie hinzu.

Für den FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl hingegen geht Seehofer
"Illegalen und Schleppern auf den Leim". "Damit führt Deutschland
Europa während seiner Ratspräsidentschaft offenbar wieder Richtung
Willkommenskultur und Zwangsumverteilung von Illegalen quer über die
EU-Staaten und erzeugt wieder eine Sogwirkung Richtung Europa",
äußerte sich Kickl. Er erwartet von der Bundesregierung ein "klares
Nein" und forderte erneut, dass Asylanträge in der EU nur mehr von
Personen gestellt werden, die aus unmittelbaren EU-Nachbarländern
stammen.

Für Monika Vana, Delegationleiterin der Grünen im
Europaparlament, steht fest, dass Investitionen in den
EU-Außengrenzschutz alleine die humanitäre Notlage im Mittelmeer
nicht lösen. "Wir brauchen eine solidarische Verteilung von
Schutzsuchenden innerhalb der EU", kommentierte sie und forderte die
deutsche Bundesregierung auf, während ihrer Ratspräsidentschaft
"eine grundlegende Reform des europäischen Asylsystems
voranzutreiben".

Die EU als Friedensnobelpreisträgerin müsse sich "dringend ihre
Verantwortung stellen und die Einhaltung die Menschenrechte und die
Genfer Flüchtlingskonvention an den EU Außengrenzen garantieren".
Dafür müsse jeder EU Mitgliedsstaat einen Beitrag leisten, so Vana.

Vorbild für weiteres Asylsystem

Eigentlich macht die Zahl der Migranten, die im Mittelmeer aus
Seenot gerettet werden, nur ein Bruchteil der Asylbewerber aus, die
jedes Jahr nach Europa kommen. Dennoch ist die Frage der
Seenotrettung aus deutscher Sicht essenziell. Wenn die Verteilung
der Aufgaben und Verantwortung für diese kleine Gruppe gelingen
würde, könnte das ein Vorbild für eine Reform des gesamten
Asylsystems werden, die schon seit Jahren nicht vorankommt, stellt
Seehofer sich vor.

Deshalb wäre aus Sicht der deutschen Regierung schon ein
allgemeines Bekenntnis aller EU-Staaten zu einer irgendwie gearteten
Beteiligung an dem Verfahren ein großer Erfolg. Auch wenn einige
weiter keine Schutzsuchenden aufnehmen, sondern etwa nur Geld geben.

(APA/dpa)

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