Gastkommentar

Die spätsowjetischen Vereinigten Staaten

Die Presse (Peter Kufner)
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Amerikas aktuelles annus horribilis legt dieMängel des US-Systems bloß und erinnert an die Endjahre der UdSSR.

Die Sowjetunion war ein guter Boden für politische Witze, die in der dortigen Gesellschaft eine ebenso wichtige Rolle spielten, wie das die spätabendlichen Comedy-Sendungen in den USA tun. Ein beliebter Witz war, dass ein junger Mann, der auf dem Roten Platz ausrief, der altersschwache Leonid Breschnjew sei ein Idiot, zu 25 ½ Jahren Gefängnis verurteilt wurde: sechs Monate wegen Beleidigung des sowjetischen Staatsoberhaupts und 25 Jahre wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen.

Die wütende Reaktion der Trump-Regierung auf ein neues Buch des früheren nationalen Sicherheitsberaters John Bolton folgt einem ähnlichen Drehbuch. Das Buch gilt nicht so sehr deshalb als gefährlich, weil es Donald Trump beleidigt, sondern weil es zeigt, dass der Präsident zutiefst inkompetent und „erstaunlich schlecht informiert“ ist. Wenn es bisher noch nicht offensichtlich war, so weiß nun die ganze Welt, dass es den USA an einer strategischen Ausrichtung oder einer in sich schlüssigen Führung durch die Regierung völlig mangelt.

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Auffällige Parallelen

Tatsächlich erinnern viele Aspekte von Amerikas aktuellem annus horribilis an die Endjahre der Sowjetunion – angefangen bei der Verschärfung der sozialen und politischen Konflikte. Im Fall der Sowjetunion kochten lang unterdrückte ethnische Rivalitäten und konkurrierende nationale Aspirationen rasch hoch und drängten das gesamte Land in Richtung Gewalt, Sezession und Zerfall.
In den USA hat Trumps Reaktion auf die landesweiten Proteste gegen Rassismus, Polizeigewalt und Ungleichheit die historische Kluft zwischen den Rassen weiter befeuert. Und wie beim Kollaps des Sowjetreichs die Lenin-Statuen werden jetzt Standbilder führender Konföderierter umgeworfen.

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