Wirtschaftskrise

Die Coronarezession spaltet Europa

Archivbild aus dem VW-Werk im deutschen Wolfsburg von Ende April. Die EU rechnet auch 2022 nur mit einem kleinen Aufschwung.
Archivbild aus dem VW-Werk im deutschen Wolfsburg von Ende April. Die EU rechnet auch 2022 nur mit einem kleinen Aufschwung.REUTERS
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Die Pandemie schädigt Konjunktur und Arbeitsmärkte noch schwerer als befürchtet. Der Streit zwischen Nord und Süd um den EU-Aufbaufonds wird sich verschärfen.

Anfang Mai veröffentlichte die Europäische Kommission ihre bisher schwärzeste Prognose für die Konjunktur Europas. Zwei Monate später muss sie nun festhalten: Die Lage ist noch schlimmer als damals angenommen. Die Erholung im kommenden Jahr wird weniger stark ausfallen als erhofft. Und die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden Europas wird noch tiefer – mit bedenklichen politischen Konsequenzen für die ohnehin kriselnde Union. „Dieses krasse Auseinanderlaufen killt den Binnenmarkt ökonomisch und politisch, wenn es nicht gestoppt wird“, warnte der Ökonom Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Centre in Berlin via Twitter.

(c) Die Presse

1 Welche Staaten trifft die Coronarezession besonders hart – und wieso?

Klar die Mittelmeerstaaten. Minus 11,2 Prozent in Italien; minus 10,9 Prozent in Spanien; minus 10,8 Prozent in Kroatien; minus 10,6 Prozent in Frankreich; jeweils minus neun Prozent in Portugal und Griechenland. Sie sind allesamt besonders stark vom Fremdenverkehr abhängig, der drei Monate praktisch unmöglich war und auch in den nun beginnenden Sommermonaten nur stark eingeschränkt möglich sein wird. Mit neun Prozent ist die Rezession allerdings auch in der Slowakei enorm tief. Das liege daran, dass das Land übermäßig stark von seiner Autoindustrie abhängig ist, die seit Ausbruch der Pandemie ebenfalls darbt.

2 Wie ist Österreichs wirtschaftliche Lage im europäischen Vergleich?

Nicht berauschend, aber wenigstens nicht ganz so katastrophal. Die Rezession solle heuer sieben Prozent betragen. Vor zwei Monaten erwartete die Kommission nur 5,5 Prozent. Im kommenden Jahr sei nun ein Wachstum von 5,5 Prozent zu erwarten. Im Mai prognostizierte die Kommission fünf Prozent. So oder so wird ein Aufschwung dieser Größenordnung nicht reichen, um die österreichische Volkswirtschaft schon im nächsten Jahr wieder auf das Niveau zu heben, auf welchem sie sich vor Ausbruch der Seuche befunden hat. Ein Wendepunkt im Absturz der heimischen Konjunktur sei im April zu erkennen gewesen, heißt es in der Prognose. Damals wurden die behördlichen Einschränkungen nach und nach gelockert. Bis dahin hatte allein der Einbruch des privaten Konsums infolge der Krise zwei Drittel der Rezession ausgemacht. Und es zeigt sich, wie sehr Österreich vom Außenhandel profitiert – beziehungsweise abhängig ist: Die Ausfuhren dürften infolge der Erschütterungen der Weltmärkte stärker fallen als die Einfuhren.

3 Die Rezession ist schwerer als erwartet. Was bedeutet das für den EU-Wiederaufbaufonds?

Noch schwierigere Verhandlungen beim Europäischen Rat nächste Woche in Brüssel. Erstens werden die Südstaaten noch stärker darauf drängen, dass zwei Drittel des diskutierten 750-Milliarden-Euro-Fonds zum Wiederaufbau als Transfers ausgegeben werden. Zweitens wachsen mit der Größe des Problems die Zweifel, ob diese 750 Milliarden Euro an Transfers und Krediten tatsächlich ausreichen werden, um die europäischen Volkswirtschaften wieder flottzubekommen. Drittens werden die Staats- und Regierungschefs nächsten Donnerstag in Brüssel noch verbissener um die Zuteilung dieser Aufbaumittel streiten. Und viertens gibt es einen Zielkonflikt: Manche wollen mit diesem Geld Zukunftstechnologien und Klimapolitik fördern – andere hingegen ganz klassisch die Konjunktur ankurbeln.

4 Wann kommt die Erholung? Wächst die Weltwirtschaft dauerhaft langsamer?

Die Große Rezession ab 2008 hat das globale Wachstum ein ganzes Jahrzehnt lang gedämpft. Diesmal ist der Konjunktureinbruch durch die Pandemie noch tiefer als damals, dafür dürfte auch die Erholung mit mehr Tempo erfolgen. „Ich erwarte eine Zweiteilung der Welt“, sagt Christian Helmenstein, Chefökonom des Forschungsinstituts Economica. Das zeige sich im Kleinen – also in Österreich – ebenso wie auf internationaler Ebene: Der vom Tourismus abhängige Westen der Republik werde für die Erholung deutlich länger brauchen als die industriestarken Regionen Österreichs, die jetzt schon nur einen geringen Einbruch der Wirtschaftsleistung verzeichnen. Ähnliches gelte auch für ganze Volkswirtschaften. Jene Länder, in denen es gelinge, Investitionen und Mitarbeiter von unproduktiveren Branchen wie dem Tourismus verstärkt in Wachstumssektoren umzulenken, könnten nach Ansicht des Wirtschaftsforschers auf Dauer mit „fünf bis sechs Prozentpunkten“ Wachstum rechnen. Die anderen würden jahrelang nicht weit über die Nulllinie hinauskommen.

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