WikiLeaks: Aufdecker aus den Weiten des Internet

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Die Organisation, die geheime Afghanistan-Dokumente veröffentlicht, ist nicht unumstritten. Das Prinzip: Jeder, der über brisante Informationen verfügt, kann sie im Internet gegen Zusicherung von Anonymität hochladen.

Washington. Im Frühjahr 1971 kopierten Daniel Ellsberg und seine Familie 7000 Seiten aus dem Giftschrank des US-Verteidigungsministeriums, die nach ihrer Publizierung in der „New York Times“ als „Pentagon Papers“ in die Annalen eingehen sollten. Präsident Richard Nixon schäumte über die Veröffentlichung der Geheimakten aus dem Vietnamkrieg, die die Bombardierung von Kambodscha und Laos enthüllten und ein neues Licht auf die Anzettelung des Kriegs durch die USA warfen. „Schickt den Hurensohn hinter Gitter“, bellte Nixon.

Doch der Oberste Gerichtshof lehnte eine Klage des Weißen Hauses wegen Verrats ab. Für viele markierten die „Pentagon Papers“ den tatsächlichen Anfang vom Ende des Vietnamkriegs. Daniel Ellsberg, ein Beamter des Pentagon, wurde zum berühmtesten „Whistleblower“ der USA – jener Insider, die durch „Leaks“ auf Missstände innerhalb der Regierung oder großer Unternehmen aufmerksam machen wollen.

WikiLeaks-Sprecher Julian Assange, ein 39-jähriger Australier, und seine anonymen Mitstreiter, die bewusst eine Assoziation zu dem Internet-Lexikon Wikipedia wecken wollen, stehen in der Tradition von Ellsberg und der „Whistleblower“ aus der Prä-Internet-Ära. Auch ihnen geht es darum, „unethisches Verhalten“ aufzuzeigen. „Wir glauben, dass Transparenz in Regierungsangelegenheiten Korruption mindert, eine bessere Regierungsarbeit ermöglicht und die Demokratie stärkt“, postuliert WikiLeaks als Credo auf ihrer Website.

Mit der eigenen Transparenz hapert es freilich: Die „Sunshine Press“, die hinter dem Projekt steht, ist mindestens so geheimnisumwittert wie ihre Quellen. Gegründet vor nicht einmal vier Jahren angeblich von chinesischen Dissidenten, Journalisten und Technikern hat sich WikiLeaks als Forum für die Aufdeckung von Skandalen etabliert. Erst im April gelang den Internet-Skandaljägern ein veritabler Coup.

Ein Video von einem Helikopterangriff der US-Armee in Bagdad aus dem Jahr 2007, bei dem unter anderen zwei Reuters-Fotografen ums Leben gekommen waren, sorgte für weltweite Entrüstung. Gegen den US-Soldaten, der das Video WikiLeaks zukommen hat lassen, läuft unterdessen ein Verfahren. Zuvor hat die Plattform mit der Enthüllung eines Guantánamo-Handbuchs, von Dokumenten über eine Korruptionsaffäre in Kenia oder einem Papier über die Finanzkrise in Island Aufsehen erregt.

Einfach, aber gefährlich

Das Prinzip ist einfach: Jeder, der über brisante Informationen verfügt, kann sie im Internet gegen die Zusicherung von Anonymität hochladen. Nicht einmal Geheimdienste sollen angeblich imstande sein, die elektronische Spur zu verfolgen. Doch es birgt auch Gefahr: Wer soll das Material überprüfen, wer soll das Portal selbst vor Missbrauch schützen?

WikiLeaks steht nur ein halbes Dutzend ständiger, freiwilliger Mitarbeiter zur Verfügung und greift eigenen Angaben zufolge auf rund 800 bewährte Quellen zurück. Um nicht in einer Flut von Daten unterzugehen, appellierte WikiLeaks, nur Dokumente von „Sprengkraft“ zu publizieren, die sonst der Zensur unterlägen.

Guter Journalismus müsse den Missbrauch der Mächtigen aufdecken“, erklärte Assange. US-Sicherheitsberater James Jones bezeichnete die Veröffentlichung dagegen als „unverantwortlich“. Das Material sei indes überholt. Nach dem Ellsberg des Internet-Zeitalters wird aber noch gefahndet.

AUF EINEN BLICK

WikiLeaks hat sich 2006 formiert. Die Organisation macht Dokumente aus anonymer Quelle zugänglich, die man auf der Homepage wikileaks.org hochladen kann. In China und anderen Ländern ist die Seite gesperrt. Vor den Afghanistan-Dokumenten war die spektakulärste Enthüllung ein Video, das zeigt, wie ein irakischer Zivilist erschossen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2010)

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