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Paul Weller: Jetzt wird der Mod auch noch weise

Paul Weller: On Sunset
Paul Weller: On Sunset(c) Universal
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Einst kultivierte er die Nervosität, nun predigt er Gleichmut: Das 15. Soloalbum des Britpop-Gründervaters ist sein souligstes seit den Tagen seiner Band Style Council.

„From Anger to Wanderlust“: Eine Enzyklopädie aller Gefühle versprach die Britin Tiffany Watt Smith 2015 in ihrem „Book of Human Emotions“. Doch eines hat sie vergessen: die Ataraxie, die im tätigen Leben so schwer zu erringen ist. Dieser Begriff stammt aus der epikureischen Ethik und bedeutet Gleichmut und Seelenruhe.

Diese predigt uns jetzt just Paul Weller, der jahrzehntelang aus seiner Nervosität geschöpft hat. Das schmissige Lied heißt „Equanimity“ und glänzt durch einen für Weller ungewöhnlich heiteren Rhythmus und ein weltumarmendes Violinsolo.

Jim Lea von Slade an der Geige

Dieses spielt der wohl überraschendste Gast auf dem Album: Jim Lea, einst bei der Glitterrockband Slade. Deren Singles liebte der junge Weller. Vor allem „Cuz I Luv You“ (1970), wo Lea ein ähnliches Geigen-Gustostückerl vollbracht hat. Der Text sei zwar philosophisch angehaucht, aber „tongue-in-cheek“ zu verstehen, sagt Weller. Zeilen wie „Slow, the ataraxy will grow“ dürften jene verunsichern, die Weller als Radaubruder geschätzt haben. Doch den bringt heute nichts mehr aus der Ruhe. Nicht einmal der Tod. „Time will become you, you'll become time“, singt er fast buddhistisch in „Old Father Type“.

So harmonisch ist Weller, dass er sich sogar mit Mick Talbot, seinem alten Mitstreiter bei Style Council, ausgesöhnt hat. Behutsam streichelt dieser die Tasten seiner Hammondorgel. Der Akzent des Albums liegt auf Soul. Schon mit seiner ersten Band, The Jam, verband Weller ja Punk, Modrock und Soul, unvergesslich ist die schwungvolle Interpretation von Curtis Mayfields „Move on up“. Die neuen Songs „Baptiste“, „Village“ und „Walkin'“ orientieren sich aber eher an der erdigen Stilistik von Bobby Womack und Bobby Bland. Dank seiner – aller Beschwörung der Ataraxie zum Trotz – immer noch intakten Ruhelosigkeit landet Weller hier nicht in der Retrofalle. Experimentelle Einschübe retten vor ausufender Nostalgie.

Anfang 2020 hat Weller mit „In another Room“ eine herrlich wirre EP voller Soundcollagen auf Ghost Box veröffentlicht. Dieses britische Label ist der Hauntologie ergeben, einer vom Philosophen Derrida ersonnenen Kulturtechnik, die aus Zeichenmaterial der Vergangenheit Kunst erschafft, die auf Gegenwart oder Zukunft verweist. Jim Jupp und Charles Reese, zwei Protagonisten von Ghost Box, haben es auch auf das neue Weller-Album geschafft. Ihr Einfluss ist im Opener, „Mirror Ball“, besonders deutlich: ein schwelgerischer Abgesang auf die eskapistische Club Culture. Ein Heulen aus der Vergangenheit konterkariert die funktionalen Beats.

Vielleicht am schönsten: „More“, ein Lied gegen den Konsumwahnsinn, dem Weller als modebewusster Mod regelmäßig selbst unterliegt. Preziöses Geigenarrangement, sanft brummelnder Bass, Wellers Stimme auf Belcanto-Modus. Überrascht hört man Zeilen wie „The more we get, the more we lose.“ Jetzt wird er auch noch weise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2020)

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