„Nord bei Nordwest“

In diesem Ostsee-Idyll wird erstaunlich viel gemordet

Lona Vogt (Henny Reents) ermittelt in Schwanitz.
Lona Vogt (Henny Reents) ermittelt in Schwanitz.ORF
  • Drucken

Eine unergründliche Kommissarin, ein menschenscheuer Tierarzt, ein Sehnsuchtsort für Sommerfrischler: „Nord bei Nordwest“, ab Freitag.

Von den „schönen Sommerwochen“ in Travemünde schrieb Thomas Mann in seinem Roman „Buddenbrooks“. In der Sommerfrische an der Ostsee „kehrten Keckheit und Sorglosigkeit zurück“. Wer hier urlaubt, der könnte auch auf die Idee kommen, nach Schwanitz zu suchen. Finden wird man das Örtchen mit seinen Fischerbooten und dem kleinen Polizeirevier aber nicht. Schwanitz ist der fiktive Schauplatz der Krimiserie „Nord bei Nordwest“. Aber so genau muss man es in Zeiten zunehmender Reisesehnsucht ja nicht nehmen: In der Lübecker Bucht gibt es mehr als einen Sandstrand mit Dünen und Schilf. Wen das Fernweh packt, der muss für diese Gegend jedenfalls gut gerüstet sein. Selbst der vom Wetter gegerbte Fischer, dem Neuankömmling Hauke Jacobs das Boot abkauft, um sich an dem „am dünnsten besiedelten Ort an der Küste“ einzurichten, trägt bei Schönwetter Pudelmütze . . .

In Folge eins der Serie, die ab Freitag (20.15 Uhr) in ORF 2 läuft, werden Leute und Landschaft vorgestellt. Man grüßt mit „Moin“. Mann trägt Bart. Man isst Labskaus aus Kartoffel, Rind und roten Rüben und trinkt danach ein „Käffchen“. Und immer weht der Wind. Ein Sehnsuchtsort für Menschen, die es kühl und ruhig mögen. So wie Jacobs zum Beispiel. Der ehemalige Kriminalist aus Hamburg mag keine Menschen, vor allem, weil sie lügen. Dafür mag er Tiere umso lieber. Also startet er in Schwanitz als Tierarzt neu durch. Wieso er dann früher Morde aufgeklärt hat, wird zunächst nicht dargestellt. Seine Tierfreundlichkeit dafür umso plakativer: Als ein kleiner Hund am OP-Tisch zu sterben droht, rettet er ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Den Kaugummi danach kann man ihm nicht verdenken. Da kommt ein bisschen Witz in diesen ernsten Fall, der so gar nicht in diese beruhigende Gegend passen will.

Ein Mord in 35 Jahren

Wo jetzt genau der angekündigte schwarze Humor ist, lässt sich vorerst nicht eruieren. Kann sein, dass man im Norden etwas anderes darunter versteht. Kommissarin Lona Vogt (Henny Reents) jedenfalls sieht mit ihren Sommersprossen aus, als wäre Pippi Langstrumpf erwachsen geworden. Sie agiert beherzt, wirkt sympathisch, bleibt zunächst aber unergründlich. Über sie erfährt man so gut wie nichts. Jetzt muss sie erst einmal den ersten Mord seit 35 Jahren in Schwanitz aufklären. Oder besser: zwei Morde. Denn Hauke hat in einem gestrandeten Kutter zwei Leichen entdeckt und beginnt, wiewohl er seinen Job als Großstadtpolizist an den Nagel gehängt hat, Vogt bei den Ermittlungen zu helfen. Diese war bis dato mehr mit Lausbubenstreichen beschäftigt, was authentischer wirkt als der Kampf gegen Mädchenhandel und laute Polizeisirenen.

Die zu erwartende Dichte an Kriminalfällen ist hier so wenig logisch wie in Bad Tölz oder in der Krimi-Hochburg Kitzbühel. Man hat das Gefühl, die Macher von „Nord bei Nordwest“ konnten sich nicht so recht entscheiden. Es ist vor allem ein Krimi, aber mit einem Hauch Rosamunde Pilcher – Tierarzthelferin Jule Christiansen (Marleen Lohse) hat sich in ihren neuen Chef verschaut – und einer Brise Heimatfilm. Wenn der Humor in den nächsten Folgen noch etwas mehr Platz bekommt, ist es die ideale Mischung fürs Sommerfernsehen . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.