Island-Kreuzfahrt

Dem Nordlicht entgegen

Dass Kreuzfahrtschiffe auch nicht riesig, aber umweltschonend sein können, beweist die MS World Explorer, die vergangenes Jahr auf ihre ersten Fahrten ging. Zu den schönsten zählte die Tour von Reykjavík nach Hamburg.

Mitternacht ist meist nicht die beste Zeit, in einer unbekannten Stadt einzutreffen. Außer es passiert in Island. Erstens ist es draußen im Hochsommer noch hell, und zweitens hat man auf der Insel, die angeblich von mehr Feen und Schafen besiedelt ist als von Menschen, schnell den Eindruck, dass hier jeder jeden kennt. Und wie im Nu zählt man dazu.

Selbst Reisende sind stets nur so lang fremd, bis sie auf den ersten Einheimischen treffen, der ihnen erzählt, wo man die besten eingelegten Hammelhoden kriegt, warum man keine Autobahn durch Elfenwohngebiete bauen darf und wie man schnell, bequem und einfach von Keflavík nach Reykjavík gelangt. In diesem Fall ist es Leif, der Busfahrer.

Die die Pinguine erfanden

Mini-Leuchtturm an der Einfahrt zum alten Hafen von Reykjavík.
Mini-Leuchtturm an der Einfahrt zum alten Hafen von Reykjavík. Carsten Heinke

Bald weiß jeder Fahrgast alles über Hafnir: Das kleine Fischerdorf, das außer Leif noch 113 andere Bewohner hat, wurde aus dem Holz eines gestrandeten Geisterschiffes gebaut. 1844 starben hier die letzten beiden Riesenalke. Die großen, flugunfähigen Vögel, die früher fast alle Inseln des Nordatlantiks bevölkerten, waren die ersten, die man „Pinguine“ nannte. Mit den ähnlich aussehenden Frackträgern der Südhalbkugel, die bis heute den geklauten Namen tragen, waren sie nicht verwandt.Ornithologisch Interessierte lockt der Vogelfelsen Hafnaberg nach Hafnir. Schiffe, die von Reykjavík in Richtung Süden starten, fahren direkt darunter vorbei. So auch jenes, das die Hauptfigur dieser Reise sein wird – die MS World Explorer, das erste Hochseeschiff von Nicko Cruises, ursprünglich einem Flussschifffahrts-Unternehmen.

Das neue Hochseeschiff liegt in Miđbakki, dem ältesten und kleinsten Hafen der isländischen Hauptstadt. Während die meisten Kreuzfahrtschiffe ihrer Größe wegen in den modernen Terminals ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums anlegen müssen, passt dieses 126 Meter lange Schiff ganz locker an den Altstadt-Kai.
Und so führt nach dem üppigen Frühstück der erste Bummel vom Hotel zum Expeditionsschiff, das als Prototyp einer neuen, umweltfreundlicheren Generation im letzten Sommer die Heimatwerft in Portugal verließ.

Doch vorerst heißt es für den schicken Cruiser, geduldig zwischen Ausflugsschiffchen, Jachten, Segel- und Motorbooten auszuharren, bis er morgen Abend zurück auf hohe See darf, um die nordischen Gewässer zu erkunden. Bei der achttägigen Reise wird es rund um Islands Küsten über die Färöer nach Norwegen und dann nach Hamburg gehen.

Eine Stadt mit Bodenheizung

Eine Fassade wie Fisch-Schuppen: Harpa, das Opernhaus von Reykjavik.
Eine Fassade wie Fisch-Schuppen: Harpa, das Opernhaus von Reykjavik.(c) Ragnar Th. Sigurdsson / ARCTIC-I

Vor den Passagieren, die schon angekommen sind, liegen anderthalb Tage Reykjavík – Zeit genug, die nördlichste Hauptstadt der Welt etwas näher kennenzulernen. Die erste Attraktion steht direkt am alten Hafen und heißt Harpa, auf Isländisch Harfe. Die faszinierende Fassade des modernen Opern- und Konzerthauses besteht aus 9211 Glasscheiben, die frei beweglich sind und wie Fischschuppen in allen Regenbogenfarben schillern.Zehn Uhr. Beim Parlament beginnt ein Stadtrundgang. Guide Erik, Historiker und Abwehrspieler beim FC ÍH Hafnarfjörđur, erklärt zunächst den Grund dafür, dass in Island jeder mindestens drei Sprachen spricht. „Wir lernen es beim Filmeschauen“, sagt er. Da nichts synchronisiert wird, sieht und hört man alles im Original. „Nach 300 Mal ,Toy Story‘ konnte ich Englisch“, so der 31-Jährige.

Nach zwei Stunden kennt man die wichtigsten Gepflogenheiten auf der Insel, weiß, dass das Alter von Pferden in Wintern angegeben wird, dass am Heiligen Abend statt eines einzigen gleich 13 Weihnachtsmänner kommen, dass man in Reykjavík keinen Schnee schippen muss, weil die Stadt dank Vulkanismus über eine natürliche Bodenheizung verfügt, und dass die komplette nationale „Armee“ – die Küstenwache – auf drei Patrouillenboote passt. Oder auf die World Explorer. Denn mit 200 entspricht die isländische Heeresstärke exakt der Passagierkapazität des kleinen Cruisers.

Nass und grau und schön

15 Uhr. Einschiffzeit, Zeit fürs Boarding. Während die meisten Gäste zunächst das Schiff erkunden, zieht es andere trotz Nieselregens auf das Oberdeck. „Hans-Dieter, es geht los“, ruft endlich eine Dame im Kommandoton, das Fernglas vor der Brust. Die Maschinen laufen, der Anker ist gelichtet. Man spürt es nicht, doch sieht es, wenn man nach draußen schaut: Das Schiff bewegt sich.

Feierlich gerührt steht man an der Reling, tauscht Winksignale mit irgendwelchen Leuten auf der Hafenstraße. Dann passiert die World Explorer den kleinen gelben Leuchtturm, die Harpa-Halle und die Uferpromenade. Nach ein paar Augenblicken ist sie schon so weit entfernt, dass sich Reykjavík noch einmal in seiner ganzen von Feuchtigkeit triefenden, grauen Schönheit zeigen kann. Dahinter, eingehüllt in dichte Wolkenpelze: der Vulkan Akrafjall und der mehr als 900 Meter hohe Gebirgszug Esja.

Es ist feucht und kalt und mittlerweile auch so diesig, dass der Küstenstreifen nur mit etwas Fantasie im Ganzen sichtbar wird. Und dennoch: Es ist von Salz geschwängerte Seeluft, die den frisch Eingeschifften um die Nase weht. Sie riecht nach Algen, Fisch, nach Norden und nach Abenteuer – und irgendwie gerade auch ganz leicht nach Gebratenem, oder? Ein Herr, verpackt in einen warmen Anorak, schnuppert prüfend an der Tür: Das Restaurant hat geöffnet! Wer die Welt entdecken will, muss richtig essen. Der Ozean ist nachher auch noch da.

DIE WELT-ENTDECKERIN

Das Schiff ist ein modernes Expeditionsschiff von „handlichen“ Maßen, wendig, geeignet auch für kleine Häfen und groß genug für einen Helikopterlandeplatz.
Reederei. Nicko Cruises Schiffsreisen GmbH.
Umweltfreundliche Technik. Das Expeditionsschiff mit der Eisklasse 1 B (für eine Eisdicke bis 0,6 m) erfüllt die Anforderungen der höchsten Passagier-Eisklasse. Der dieselelektrische Antrieb sorgt für deutlich reduzierten Kraftstoffverbrauch. Ökologisch vorbildlich ist das Müllverarbeitungssystem. Dabei wird der Abfall fast komplett zu Gas recycelt, das dem Energiekreislauf zugutekommt.
Kabinen. Auf drei Passagierdecks gibt es 98 Außenkabinen, sieben Kategorien von der Expeditionskabine (17 m2) bis zur Explorer Suite (44 m2). Auf Deck 7 steht ein Spa mit Minisauna und ein Fitnessraum, außen ein Swimmingpool sowie zwei Whirlpools, auf Deck 8 gibt es eine Joggingstrecke.
Compliance-Hinweis: Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Nicko Cruises. www.nicko-cruises.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.