Nach der Gerichtsentscheidung erklärt Präsident Erdoğan die Hagia Sophia wieder zum islamischen Gotteshaus. Islamisten und Nationalisten sind begeistert. Frauen und Jungwähler wenden sich indes zusehends von Erdoğan ab.
Istanbul. Mit türkischen Fahnen in der Hand versammelten sich am Freitagnachmittag Hunderte Menschen vor der Hagia Sophia in der Istanbuler Innenstadt. Sie feierten einen Gerichtsbeschluss, der den byzantinischen Kirchenbau aus dem sechsten Jahrhundert von einem religiös neutralen Museum in eine Moschee umwandelt.
Die Polizei sperrte den Zugang zur Hagia Sophia weiträumig ab, niemand wurde in das Gebäude mit der riesigen Kuppel gelassen. Doch schon am Samstag könnten in der Hagia Sophia zum ersten Mal seit mehr als 80 Jahren wieder islamische Gebete stattfinden, hofften Anhänger der Entscheidung. Treibende Kraft hinter der Umwandlung ist Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung die Hagia Sophia per Erlass dem staatlichen Religionsamt überschrieb und erklärte, die Hagia Sophia sei ab sofort für Gottesdienste geöffnet.
Abkehr von Atatürk
Auf Antrag eines islamischen Vereins hob der türkische Verwaltungsgerichtshof am Freitag eine Kabinettsentscheidung aus dem Jahr 1934 auf, mit der die Hagia Sophia zum Museum erklärt worden war. Nach fast 1000 Jahren als wichtigste Kirche des Christentums machte der osmanische Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels im Jahr 1453 zur Moschee. Das Gericht folgte einstimmig der Argumentation des Vereins, wonach die Hagia Sophia zum Besitz des Sultans gehörte. Das Urteil ist damit auch eine Distanzierung von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei: Der Kabinettsbeschluss von 1934 trug Atatürks Unterschrift.
Einige Moschee-Anhänger auf dem Platz vor der Hagia Sophia kamen zum Gebet zusammen. Selami Karaman, der Anwalt des „Vereins für den Dienst am historischen Erbe und an der Umwelt“, erklärte, nach seiner Ansicht könne die Hagia Sophia bereits am Samstag für islamische Gottesdienste benutzt werden. Nach den türkischen Gesetzen muss die Gerichtsentscheidung innerhalb von 30 Tagen umgesetzt werden.