Buchbesprechung

„Schläge“: Stärker als die Gewalt

Meena Kandasamy hat für dieses Buch gelitten – und das ist nicht nur literarisch zu verstehen.
Meena Kandasamy hat für dieses Buch gelitten – und das ist nicht nur literarisch zu verstehen.(c) Teri Pengilley
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Meena Kandasamy schreibt in ihrem Roman „Schläge“ über Gewalt in einer Ehe und darüber, wie sich eine junge Frau durch die Kraft der Literatur aus der Abhängigkeit befreit.

Die Grenzüberschreitung beginnt schleichend. Es fängt damit an, dass der Mann seine junge Ehefrau auffordert, ihre Aktivitäten auf Facebook einzustellen. Das soziale Medium sei nichts anderes als Narzissmus, Exhibitionismus, Zeitverschwendung. Wenn sie ihn wirklich liebte, würde sie ihr Profil deaktivieren. Sie, die Schriftstellerin ist, gibt sich des kurzfristigen Friedens willen geschlagen. Das Medium ist ihr einziges Kommunikationsfenster nach außen. Die junge Autorin verfasst einen letzten Post: Sie benötige Zeit für sich, arbeite an einem längeren Projekt, verabschiedet sich von der Außenwelt. Später wird der Ehemann ihre Telefongesprächszeiten reglementieren, ihr E-Mail-Passwort ändern und ihren gesamten Computerspeicher löschen. Ihre bisherige Existenz als Autorin ist damit ausradiert.

„Bald nach meiner Hochzeit wurde mir klar, dass mein Mann den indischen Staat und die Bill Gates', die Warren Buffets und die Ambani-Brüder dieser Welt nicht so sehr hasste wie kleinbürgerliche Schriftstellerinnen (also mich).“ Das ist einer der Sätze, mit denen das Drama dieser gewalttätigen Ehe beginnt.

Die aus Indien stammende und in London lebende Autorin Meena Kandasamy hat in diesem Roman ihre eigenen Gewalterfahrungen verarbeitet. Doch „Schläge“ ist kein bloßer Erfahrungsbericht, kein simples Trauma-Tagebuch. Der Roman ist ein intelligent komponiertes und bewegendes Stück Literatur, in dem das malträtierte Opfer noch im Moment seiner größten Pein ein Subjekt bleibt. Ein verzweifeltes, aber immerhin ein Subjekt.

Verwerflich bürgerlich. Eine junge Frau hofft nach einer enttäuschten großen Liebe, in dem Universitätsdozenten und Anhänger der Maoisten den richtigen Partner für eine stabile Beziehung gefunden zu haben. Sie zieht mit ihm in seine Stadt und will dort ihr Leben als Autorin weiterführen.

Doch so viel Verständnis der Mann für die sozial Entrechteten dieser Welt hat, so wenig bringt er ihr als Partnerin entgegen. Er macht seine Angetraute systematisch nieder: für ihre Angewohnheit, Lippenstift zu tragen, für ihre feministische Einstellung, für ihre Mittelklasse-Herkunft. Später reicht dann überschüssiges Öl im Erdnuss-Chutney oder grüne Chilis im Hühnercurry, um ihn ausrasten zu lassen. Die Autorin wird zu seinem ganz privaten Hassobjekt, zuerst erniedrigt er sie mit Worten, später mit Taten: Er schlägt und vergewaltigt sie systematisch. „Die Ehe wurde zum Umerziehungslager“, schreibt Kandasamy.

Gegen die erlittenen Schläge kämpft die Protagonistin mit der Kraft der Worte, der Literatur. Meena Kandasamys Buch ist eine beschwerliche Chronik der Rückeroberung der eigenen Geschichte. Sie führt einen geheimen Widerstandskampf, von dem der Ehemann nichts ahnt, an vielen Fronten: Wenn sie imaginierte Briefe an frühere Liebhaber schreibt, die sie aber wegen der Eifersucht ihres Mannes nicht abspeichern kann. Wenn sie in seinen Wutausbrüchen nach psychologischen Schwächen sucht und sich diese für spätere Demoralisierungen notiert. Wenn sie beim Kochen Früchte wie Mangos verwendet, die die von ihm gewünschte Schwangerschaft zu verhindern helfen. Wenn sie Erniedrigungen als Filmszenen imaginiert. Und wenn sie sich im Moment schlimmster Gewalt aus ihrem Körper wegdenkt.

Hausgemachter Frauenhass. Der Roman beinhaltet auch eine kritische Auseinandersetzung mit der spezifischen Frauenfeindlichkeit in Indien. Kandasamy betont das Erbe des (Post-)Kolonialismus, in dem sich die Missbilligung von als westlich gebrandmarkten Verhaltensweisen mit eigenen misogynen Traditionen vermischt. Frauen werden eingesperrt, angezündet oder erst gar nicht geboren.

Die Geschichte rast schließlich auf den unvermeidlichen Höhepunkt zu, an dem der Ehemann seiner Partnerin droht, sie umzubringen. Immerhin ist aber damit auch der Punkt erreicht, an dem sogar die Eltern das Verlassen des Gewalttäters akzeptieren. Bis dahin haben sie ihre Tochter nämlich zum Erdulden aufgefordert.

(c) CulturBooks

Neu Erschienen

Meena Kandasamy
„Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“

Übersetzt von Karen Gerwig
CulturBooks
264 Seiten
22,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2020)

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