Am Herd

Die Feministin und der Reaktionär

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Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild, es zeigt eine riesige Frau mit Hut, die sich über einen kleinen Mann beugt und ihm einen Apfel reicht. Es ist das Geschenk eines Kollegen.

Als ich ins Gymnasium ging, war ich Feministin. Feministin mit Palästinensertuch, Dauerwelle (es waren die 1980er!) und felsenfesten Überzeugungen. Einer meiner Schulkollegen, nennen wir ihn Manuel, engagierte sich dagegen beim Mittelschülerkartell-Verband. Ich argumentierte im Deutschunterricht für Tempolimits – er dagegen. Er hatte vor, eine Frau zu heiraten, die gut kochen kann und bei den Kindern bleibt. Ich wollte Halbe-Halbe. Abtreibung, Steuern, Religion – kaum ein Thema, bei dem wir einer Meinung waren, und im ersten Jahr der Oberstufe fand ich ihn einfach nur reaktionär.

Aber er war auch lustig und gescheit, freundlich und mutig – und er konnte über unseren Lateinprofessor so laut lachen, dass ich meine Angst vor ihm beinahe vergaß. Um das zu herauszufinden, brauchte ich freilich ein, zwei Jahre, die wir gemeinsam die Schulbank drückten, auf Skikursen froren, mit unterschiedlicher Begeisterung Goethes Gedichte lasen und in der Mittagspause beim Jassen zusammensaßen. Ich mochte ihn. Und er mochte mich auch. Jedenfalls fiel er mir, als die Maturanoten bekannt gegeben wurden, vor der versammelten Kommission um den Hals, und ich konnte das Erstaunen der Lehrer förmlich spüren. Nicht nur ob der übermütigen Geste, sondern weil wir beide uns offensichtlich gut verstanden.

Struktureller Rassismus. Heute bin ich immer noch überzeugte Feministin. Allerdings ohne Dauerwelle, und das mit dem Palästinensertuch ist mir im Nachhinein ein wenig peinlich. Auch jetzt gibt es einen Kollegen, nennen wir ihn Wolfgang, der ganz und gar anderer Ansicht ist. Wenn man ihn fragte, würde er wohl sagen, ich sei eine Linke. Und wenn man mich fragt: Er ist rechts. Aber das ist egal, weil wir beide Italien lieben und gern darüber reden, wo man in Wien ordentliche Tomaten bekommt, weil wir lang über die Schnitzler-Aufführungspraxis schimpfen können und – Überraschung – bei Céline einer Meinung sind.

Neulich haben wir kurz darüber debattiert, ob es in Österreich strukturellen Rassismus gibt oder nicht. Aber eben nur kurz. Wir wissen, wir können den anderen nicht überzeugen. Und wir wissen auch: Wir verstehen uns auch so. Zu meinem Geburtstag hat er mir ein Aquarell geschenkt, es zeigt eine riesige Frau mit Hut, die sich über einen sehr kleinen Mann im Anzug beugt und ihm einen Apfel reicht. Offiziell lautet der Titel des Bildes „Frauen in Chefpositionen“. Aber mein Kollege hat es umbenannt. Es heißt nun: „Bettina will von Wolfgang eine Doppelseite“.
Seine Freunde kann man sich aussuchen. Seine Schul- und Arbeitskollegen nicht. Und weil wir dieser Tage so viel über Toleranz reden und über Gräben, die zu überwinden sind: Das ist gut so.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2020)

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