Kolumne zum Tag

Der Joghurtbecher oder: Wir Ökoneurotiker

Von umweltbewussten Konsumieren ist's bisweilen nur ein kleiner Schritt in die Zwanghaftigkeit.

Man muss nicht an der Seite Greta Thunbergs Freitag für Freitag die Klimakalypse beschworen haben, um die Einsicht zu hegen: das Klima kippt schneller, als wir uns das vor ein paar Jahren noch vorgestellt haben, und es kippt in eine Richtung, die unser Leben auf diesem Erdenball noch ein wenig ungemütlicher machen dürfte. Unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist empörend leichtsinnig, und wir schaffen es trotz politischer Lippenbekenntnisse immer noch nicht, das Artensterben oder die generelle Versauung der Wälder und Fluren zu stoppen. Und so begleitet uns die Frage, wie wir wenigstens im Kleinen etwas dazu beitragen können, die Umwelt zu schützen. Bloß: wenn man anfängt, eingedenk des ökologischen Fußabdrucks jeden Kauf und jeden Handgriff zu analysieren, ist's nur ein kleiner Schritt in die Zwanghaftigkeit.

Der Joghurtbecher zum Beispiel, der, während ich diese Zeilen verfasse, auf der Küchenkredenz meines Heimbüros thront: kann ich den in den Plastikmüllsack geben? Wenn ja: soll ich ihn ausspülen? Die Antwort lautet beide Male: nur ja nicht! Denn die Brüsseler Entsorgungsbetriebe sind noch nicht im Stande, diese Art von Kunststoff wiederzuverwerten. Sprich: jeder dieser Becher macht die Arbeit für die Sortiermaschinen schwerer. Und erst der Wasserverbrauch fürs Ausspülen: erstickend zappelnde Forellen in ausgedörrten Ardennenbachbetten mahnen mich vor meinem geistigen Auge, dies zu unterlassen. Also Joghurt im Glas? Naja, das ist schwer, der Lkw, welcher es in meinen Supermarkt bringt, braucht folglich mehr Diesel, von der eskalierenden Feinstaubbelastung durch erhöhten Reifenabrieb kraft größerer Last ganz zu schweigen...
Und so starrt er mich an, der Joghurtbecher. Vorwurfsvoll und spöttisch. Das Private ist politisch? Das Politische privat? Wir müssen nur wollen? Schau dich an, du Ökoneurotiker! Recht hat er, der Joghurtbecher. Ich lasse ihn noch ein bisschen dort stehen. Vielleicht löst sich das Dilemma ja morgen. Oder übermorgen.

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