Umfrage: 70 Prozent der Österreicher orten Parallelgesellschaften

PK PARALLELGESELSCHAFTEN: RAAB/BRETSCHNEIDER
PK PARALLELGESELSCHAFTEN: RAAB/BRETSCHNEIDERAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Integrationsministerin Raab will daher ein „Frühwarnsystem“. Noch stärker als Integrationsprobleme nehmen Wiener Probleme mit Drogen und Alkohol wahr.

Viele behelfen sich bei Zeitangaben derzeit mit einem „vor Corona“ oder „danach" Für Integrationsministerin Susanne Raab allerdings gibt es nun auch eine weitere Zeitrechnungsebene: „Vor Favoriten“ - also bevor es zu den gewaltsamen Ausschreitungen in dem Wiener Bezirk gekommen ist, sei die Befragung über soziale Brennpunkte in Wien durchgeführt worden, die sie am Mittwoch präsentierte. „Nach Favoriten“ sei noch einmal spezifisch nachgefragt worden. Die Ergebnisse der beiden Umfragen hätten Raab einmal mehr bestätigt, wovon die Gewalteskalation in Favoriten nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen sei: Dass Wien ein Problem mit Parallelstrukturen habe - und dass diese offenbar auch ein großer Teil der Österreicher wahrnehmen.

So haben 70 Prozent der Österreicher angegeben, die Existenz von Parallelgesellschaften zu sehen. Das geht aus der Anfang Juli vom Sozialwissenschaftler Rudolf Bretschneider durchgeführten repräsentativen Umfrage hervor. Etwa drei Viertel denken, dass es sich bei diesen Vorfällen um einen importierten Konflikt handelt.

Ähnliche Ergebnisse lieferte bereits eine Umfrage unter 1000 Wienern, die Bretschneider bereits im Februar im Auftrag des Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) durchführte. Bretschneider schickte aber voraus, dass die Umfrage „keine Aussage über den Sachverhalt, sondern nur das Gefühl der Wiener“ darstelle. 70 Prozent dieser gaben an, in ihrer Heimatstadt soziale Brennpunkte wahrzunehmen. Fast drei Viertel verorteten diese vor allem in den sogenannten „Flächenbezirken“ - also etwa Favoriten, Simmering oder Floridsdorf. Das Bewusstsein dafür sei aber auch innerhalb des Gürtels zu finden, so Bretschneider.

Noch vor Asylsuchenden und Menschen mit Migrationshintergrund brachten die Befragten zuallererst mit Menschen mit Sucht- oder Alkoholproblemen in Verbindung mit sozialen Brennpunkten - und das, so Bretschneider, obwohl diese Themen weit weniger in der öffentlichen Diskussion stehen als Migrationsthemen.
70 Prozent meinten, dass soziale Probleme in Wien generell zunehmen. Das sei für eine Großstadt nicht ungewöhnlich, erklärt der Meinungsforscher. Für Wien spezifisch sei aber, dass die Verschlechterung vor allem bei Schulen und Kindergärten wahrgenommen würden. Auch die Verständigung mit Wienern mit Migrationshintergrund sei für mehr als 60 Prozent schwieriger geworden.

Gewalt oder zumindest die Angst davor war für drei Viertel der Wiener das größte Problem. Wohl auch deshalb hat sich das persönliche Sicherheitsgefühl für zumindest 42 Prozent verschlechtert.
Raab nahm die beiden Umfragen als statistische Grundlage für ihr Vorhaben, ein „Frühwarnsystem für Parallelgesellschaften“ zu etablieren. Dabei sollen Faktoren wie der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in einem Stadtteil, die Arbeitsmarktbeteiligung und das Bildungsniveau berücksichtigt werden. Auch Vereine und deren Aktivität in sozialen Medien sollen dabei im Fokus stehen, ebenso wie die Frage, ob österreichische „Werte und Normen“ anerkannt würden.

„Kürzen muss das Bundesland"

Sei einmal erkannt, wo die Probleme liegen, könnte man konkrete Schritte dagegen setzen, sagte Raab – und nahm dabei auch die Bundesländer in die Pflicht. Dies sei als Auftrag an alle politischen Ebenen, auch an die Stadt Wien, zu verstehen. Denn der Bund könne zwar Rahmenbedingungen – etwa Deutschkurse oder Anreize am Arbeitsmarkt – schaffen. Aber Sanktionen setzen, wenn Angebote nicht angenommen würden, etwa Sozialleistungen kürzen, „muss dann das Bundesland.“

Sie selbst verwies noch einmal auf die neue „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“, der als „Leuchtturmprojekt“ im Kampf gegen Parallelstrukturen fungieren werde und am Mittwoch seine Arbeit aufnehmen soll. Welche Vereine nach den Ausschreitungen in Favoriten ins Ministerium zitiert würden, wollte Raab nicht sagen. Es seien jedenfalls große und kleine dabei und vor allem jene, „die ein Echo haben“ in den Communities und im Jugendbereich.

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