Schon vor 20 Jahren verkündeten Forscher, das Genom des Menschen sei „entschlüsselt", also vollständig sequenziert. Das war nicht wahr. Jetzt endlich dürfte wirklich erstmals ein Chromosom ohne Lücken vorliegen.
Über 20 Jahre ist es nun her, dass die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vier Seiten ihres Feuilletons mit einem Text aus nur vier Buchstaben (A, C, G und T) füllte. Das heißt, Titel und Vorspann bestanden aus mehr Buchstaben: „Homo sapiens Chromosom X" lautete jener, und in diesem stand unter anderem der boulevardeske Satz: „Der genetische Stammbaum des Menschen liest sich wie ein Roman." Sozusagen die säkulare Variante von dem, was US-Präsident Bill Clinton zum selben Anlass sagte: „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben geschaffen hat."
Beide Sprüche waren ein Erfolg der PR-Tätigkeit des US-amerikanischen Human Genome Project (HGP), das seine – tatsächlich harte – Arbeit, möglichst große Passagen des menschlichen Genoms zu sequenzieren (also die Abfolge der Basen zu bestimmen), der Öffentlichkeit als „Entschlüsselung" anpries. Schon am 26. Juni 2000 ließ sich das staatliche HGP für die angeblich mit 97 Prozent beinahe vollständige Sequenzierung feiern, nachdem sein privater Konkurrent Craig Venter schon zwei Monate davor erklärt hatte, er habe 99 Prozent gelesen. Ein Jahr später verkündeten beide fast synchron, nun sei man aber fertig, und viele glaubten es – bis im April 2003 abermals die „vollständige Entschlüsselung" verkündet wurde.