Morgenglosse

Das Brüsseler Selbstbedienungsbuffet ist angerichtet

Ein wesentlicher Teil des 750 Milliarden Euro großen EU-Aufbaufonds ist Betrug und Mitnahmeeffekten ausgeliefert. Schuld daran tragen die Nationalstaaten. Sie haben eine Reform der Finanzierung der Union mutwillig unterlassen.

58 Milliarden Euro sind nicht nichts. Mit dieser Summe soll im Rahmen des Wiederaufbaufonds namens „Next Generation EU“ eine sogenannte Aufbauhilfe für den Zusammenhalt und für die Gebiete Europas dotiert werden. „REACT-EU“ hat ein der Öffentlichkeit leider unbekannter Eurokrat diesen Geldtopf getauft. Ehe Sie nun in der Buchstabensuppe unverständlicher Akronyme zu ertrinken drohen, nur so viel: mit diesem zusätzlichen Geld soll nach den Regeln des geltenden EU-Budgetrechts der Aufschwung von jetzt bis 2022 gefördert werden. Also über Kohäsionspolitik, Regionalförderungen, Ländliche Entwicklung, und so weiter.

Moment, mahnt der Europäische Rechnungshof in einer am Dienstag veröffentlichten Analyse. So, wie dieses Programm den Staats- und Regierungschefs am Freitag und Samstag für ihren EU-Gipfel aufs Tapet gelegt wird, drohen zahlreiche Unerfreulichkeiten. „Der Vorschlag lässt den Mitgliedstaaten jedoch hinsichtlich der Verwendung der zusätzlichen Mittel freie Hand und enthält keine Einzelheiten dazu, wie sie mit anderen EU-Instrumenten und nationalen Regelungen koordiniert werden sollen“, warnt der Hof. Sprich: es droht, doppelt gemoppelt zu werden. Es bestehe außerdem die „Gefahr übereilter Ausgaben, bei denen der Ausschöpfung der Mittel Vorrang vor deren optimaler Verwendung gegeben würde, weil ungenutzte Mittel verfallen ("use it or lose it"), und auch das Risiko von Unregelmäßigkeiten und Betrug wäre höher.“ Zudem fehlten Angaben zur „Minderung des Risikos von Mitnahmeeffekten (Finanzierung von Projekten, die ohnehin durchgeführt worden wären)."

Wen wundert das? Der Hof beschreibt hier genau jene Fehler in der Finanzierung der Union, deren Abschaffung jede neue Kommission gelobt, um dann scheibchenweise von den nationalen Regierungen umgeschnitten zu werden. Wie oft hörte man Gelöbnisse von Finanzministern oder Regierungschefs, den gemeinsamen Haushalt zu „modernisieren“? Das hieße aber, sich von Brüsseler Geldtöpfen zu verabschieden, deren publikumswirksames Anzapfen man innenpolitisch ohne jegliche Scham ausschlachtet. Und so gehen auch in diesem angeblich so „grünen“ und „zukunftsorientierten“ Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 mehr als 60 Prozent der Ausgaben in die Subventionierung der Landwirtschaft und die (angesichts der kaum verminderten regionalen Diskrepanzen fragwürdige) Kohäsionsförderung. Zynisch? Ja. Alternativlos? Nein - wenn man die Hoffnung behält, dass sich irgendwann auch in den Staatskanzleien der Hauptstädte europäischer Gemeinsinn und Weitblick durchsetzen.

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