Harmonie in der Landschaft, aber nicht immer unter den Menschen: am Altausseersee 1925.
Ferienkultur

Stadt, Land, Hass: Kulturschock Sommerfrische

Ob Dichter, Denker oder einfache Urlauber: Seit 200 Jahren suchen Städter am Land neben unberührter Natur auch den Kontakt zu den „unverdorbenen“ Einheimischen – was oft genug kurios schiefging. Woran scheitert es?

„Wer vom Fremdenverkehr lebt, kann die Fremden nicht leiden“: Niemand umriss das Problem so scharf wie Erich Kästner. Der deutsche Schriftsteller, nett in seinen Kinderbüchern, böse in seinen Texten für Erwachsene, erlebte das Zillertal in einer absurden Situation. Gegen Ende des Krieges, als seine Berliner Wohnung schon zerbombt in Trümmern lag, reiste er in die sicheren Alpen – im Tross eines Filmteams, das vorgab, dort mit weniger Risiko einen Ufa-Streifen zu drehen. Eine Posse, auf die auch Propagandaminister Goebbels hereinfiel. Aber in der Stube der Zimmervermieter, zwischen Herrgottswinkel und Hitlerbild, kam Kästner zu zeitlos gültigen Erkenntnissen: Die Tagediebe aus der Großstadt, „vorlaut und überheblich“, seien „fürs schlichte Bauernherz das reinste Gift“. Weil sie aber zahlen, müsse der Einheimische „seinen Widerwillen zu verbergen trachten, und das macht die Sache noch schlimmer“. Eintracht wäre möglich, würden die Fremden ihre Gelder aus der Ferne per Post überweisen. „Aber sie kommen, als Anhängsel ihrer Brieftaschen, persönlich, und das geht ein bisschen weit.“

Der kühle Blick des Spötters kontrastiert mit der heißen Sehnsucht, die Stadtmenschen ab dem 19. Jahrhundert in die Sommerfrische trieb. Sie suchten ein Paradies, aus dem sie sich vertrieben fühlten: eine einfache, ursprüngliche Gegenwelt – in der Natur, aber auch im Kontakt mit den „unverdorbenen“ Einheimischen. Diese Annäherung ging oft schief, schon wegen der Standesunterschiede. Denn die Sommerfrische blieb lang dem Adel und dem gehobenen Bürgertum vorbehalten. Am Strand durchmischten sich die Stände zwar, wie Fontane auffiel: „Und sind auch verschieden der Menschheit Lose,/ gleichmacherisch wirkt die Badehose.“ Aber die Kluft zu den Einheimischen blieb.

Falsche Bräuche, sexuelle Konkurrenz

Erst recht in den Bergen. Umsonst erstanden die Berliner schon zu Hause im Kaufhaus Wertheim Lederhose und Dirndl, um dann in Oberbayern original gewandet aus dem Zug zu steigen. Dabei war es mit den Traditionen der „Hiesigen“ nicht weit her: Das „National-Costüm“ hatte ihnen der bayerische König Max II. Mitte des 19. Jahrhundert ans Herz gelegt, und viele vorgeblich uralte Bräuche stellten sie erst zur Schau, als Touristen danach verlangten. Authentisch waren also beide Seiten nicht. Zu Konflikten kam es dennoch. Oft aus einem sehr basalen Grund: Man machte sich sexuell Konkurrenz. Arthur Schnitzler pirschte sich im Thalhof bei Reichenau Schach spielend an die Wirtin heran, bis der Wirt ihm Hausverbot erteilte. D. H. Lawrence plagte die Eifersucht in der Gegenrichtung. In einem Wirtshaus in Mayrhofen machte ein „lüsterner Dörfler“ mit „mächtigen Gebirgslenden“ ihm beim Tanz die Geliebte streitig. Der Engländer schildert die Szene im autobiografischen Roman „Mr. Noon“: „Er packte sie mit seinen großen Händen unter den Brüsten“, warf sie in die Luft und „stampfte wie ein Stier“. Worauf die umworbene Johanna einen „bewusstlosen Schrei“ ausstößt, „wie eine Frau auf dem Höhepunkt der Umarmung“. Aber den Anglikaner Lawrence irritierte noch anderes: der „mittelalterliche Katholizismus“. Dass die Bauern vor Kruzifixen den Hut abnahmen, versetzte ihn in ein „gewalttätiges Zeitalter“, in dem man „Grausamkeit und Qual“ verehrte. Ödön von Horváth musste im Tiroler Lechtal feststellen, dass „mitten in der Fremdenindustrie“ noch Menschen an so „wahnwitzigen Blödsinn“ wie Begegnungen mit dem Teufel glaubten. Die Ureinwohner rächten sich: Sie beschmierten sein Quartier mit Kuhmist und stellten die publizierte Polemik neben dem Weihwasserbecken in der Kirche aus, um sich davor wie vor dem Leibhaftigen zu bekreuzigen.

Konnten sich Philosophen besser einfühlen? Nietzsche kam im Hochtal von Sils Maria zwar seinem Zarathustra näher, aber nicht dem Landvolk – die Kinder lachten über den komischen Kauz mit dem roten Sonnenschirm. Wittgenstein wollte in der Buckligen Welt als Dorfschullehrer ein neues Leben beginnen. Aber in Trattenbach blieb sein einziger Freund der Pfarrer, mit dem er sich auf Latein unterhielt. Ansonsten sah er sich „von Gehässigkeit und Gemeinheit“ umgeben. Und Simone de Beauvoir notierte nach ihrer Deutschlandreise: „Die massigen Bajuwaren, die ihre behaarten Schenkel zeigten und Würste aßen, fand ich unausstehlich.“

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