Quergeschrieben

Das müde Europa, eine chinesische Kolonie des 21. Jahrhunderts

Warum Europa irrt, wenn es die imperialen Ambitionen der kommunistischen Volksrepublik, die sich gerade in Hongkong zeigen, als alternativlos hinnimmt.

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Den meisten Österreichern dürfte, wie auch den meisten Europäern, ziemlich gleichgültig sein, dass das Regime in Peking gerade im Begriff ist, sich das aufgrund internationaler Verträge demokratisch und rechtsstaatlich organisierte Hongkong de facto einzuverleiben und in der ehemaligen britischen Kronkolonie den Rechtsstaat auszuhebeln. Chinas Zusage, Hongkong bis 2047 autonom sein zu lassen, ist damit weitestgehend Makulatur.

Nun mag man kurios finden, dass die Europäer zum Beispiel Israel angesichts der angedachten Souveränitätsausweitung in der Westbank die Leviten lesen, die Quasi-Annexion Hongkongs durch China hingegen mit eher betretenem Schweigen hinnehmen. Doch die sachlich nicht argumentierbaren Unterschiede im Empörungsniveau der Europäer sind erklärbar. Die Volksrepublik China ist im Gegensatz zu Israel handelspolitisch von eminenter Bedeutung und wird daher dementsprechend zuvorkommend behandelt.

Aus opportunistischen Gründen die Vergewaltigung Hongkongs als innerchinesische Angelegenheit zu verstehen und zur Tagesordnung überzugehen, dürfte in Europa durchaus populär sein: Was geht uns das eigentlich an? Ist ja auch kein Einzelfall.

Es ist dies freilich ein etwas kurzsichtiger Gedanke. „An Hongkongs Geschick entscheidet sich möglicherweise jenes der freien Welt“, warnte jüngst die stets besonnene „Neue Zürcher Zeitung“, was vielleicht etwas zugespitzt, aber deshalb nicht falsch ist. Denn wenn Hongkong zum Opfer des Appeasements wird, ist nicht nur das demokratische Taiwan als Nächstes auf der chinesischen Speisekarte. In diesem Fall könnte nämlich auch Europa Ziel chinesischen Hegemonialstrebens werden. Nicht mittels militärischer Unterdrückung, sehr wohl aber mit dem Ziel, Europa zu einem Teil der chinesischen Einflusszone zu machen, in der Peking wirtschaftlich dominant ist und damit politischen Einfluss gewinnt.

»Schon jetzt fungieren Länder wie Griechenland und Ungarn innerhalb der EU immer wieder als China-Versteher.«



Salopp gesagt: China könnte in einem künftigen Europa ein bisschen jene Rolle spielen, die den USA in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zufiel. Mit dem Unterschied, dass Europa und die USA auf dem Boden der gleichen Werte stehen, was bei China eher nicht der Fall ist. Schon jetzt wird diese Strategie Chinas immer öfter sichtbar; Griechenland und Ungarn fungieren innerhalb der EU immer wieder als China-Versteher, andere Staaten könnten – entsprechende chinesische Gegenleistungen vorausgesetzt – bald folgen.

Auch in Syrien bietet sich Peking gerade als Alternative zur Europäischen Union an, die sich aus nachvollziehbaren Gründen ziert, mit dem Wiederaufbau des Landes auch noch das Assad-Regime zu festigen. All das hat letztlich früher oder später Auswirkungen auf das Leben jedes Europäers – von der Migrationsproblematik bis hin zu einer Wirtschaftspolitik, die auf chinesische Interessen Rücksicht zu nehmen hat. Leider erweckt Europa – anders als die USA – im Moment nicht den Eindruck, sich dieser Herausforderung bewusst zu sein, ganz zu schweigen davon, sie auch annehmen zu wollen.

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