Annäherung

Die Farbe im Kopf

Was heißt schon Schwarz, was Weiß?
Was heißt schon Schwarz, was Weiß?(c) Scheugl
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Symbole haben eine starke Wirkung, doch nur politisch bewusstes Handeln bringt Veränderung. Rassismus und Sprache: Versuch einer Annäherung.

In den 1950er-Jahren, als die amerikanischen Soldaten aus Europa und Korea nach Hause zurückkehrten, sah sich deren schwarzer Anteil Diskriminierungen ausgesetzt, die sich seit den Jahrzehnten vor den Kriegen nicht verändert hatten und die sie seit ihrem Militärdienst nicht mehr hinzunehmen gewohnt waren. Rassenunruhen, die sich zu lokalen Rassenkriegen und zu einer mächtigen landesweiten Bürgerrechtsbewegung ausweiteten, waren die logische, weil notwendige Folge.

Nach Europa, wo vor allem in Deutschland und Österreich nach dem Abzug der Besatzungssoldaten Schwarze seltene Erscheinungen waren, drangen von den Zuständen in Amerika dank der spärlichen medialen Vermittlung nur splitterartig Nachrichten und Bilder der Gewalt, die die Nachkriegsgeneration, zu der ich gehörte, so nicht kannte. In Österreich herrschte nach allem, was mit den Juden geschehen war, ein dumpfer Frieden, den kein versprengter Nazi wegen der wenigen schwarzen Besatzungssoldaten, die nicht nach Amerika zurückkehrten, gefährdet hätte. Die Kinder, die Schwarze mit Europäerinnen gezeugt hatten, fanden in der Bevölkerung ihren Platz, begleitet von dem Wissen über die Nachkriegsverhältnisse und dem daraus erwachsenen Verständnis. Ein leichtes Leben hatten sie trotzdem nicht, der alltägliche Rassismus kommt in kleinen Dosen, dahinter muss gar keine böse Absicht stecken.

Der überwältigende Strom an amerikanischer Populärkultur, der nach Europa drang, machte schwarze Musiker und Entertainer sehr willkommen. Louis Armstrong kannte jeder. Ella Fitzgerald füllte das Konzerthaus. Eine Tanzgruppe gastierte als „American Negro Ballet Jazz“. Schwarze Musiker und Sänger versuchten eine Zeitlang in Wien ihr Glück. Rassenprobleme waren kein Thema. „Neger“ war kein Schimpfwort. Im Sprachgebrauch war das Wort eine Bezeichnung wie Jude, Indianer, Eskimo oder Vorarlberger. Niemand nahm erkennbar Anstoß.

Bücher und Filme stellten die Rassenproblematik dramatisch und politisch korrekt dar, blieben aber Erzählungen von jenseits des Atlantiks. Der europäische Kontinent hatte die Russen in Nachbarschaft und war mit sich selbst beschäftigt. Einige wenige amerikanische Ex-Soldaten, darunter ein Schwarzer, mit dem ich befreundet war, konnten in Wien studieren. Im fortgeschrittenen Alter wurde er zum Medizinalrat ernannt. Es dauerte einige Jahre, ehe afrikanische Studenten in Wien zu sehen waren. Auch sie waren nicht viele.

Die Politisierung der Schwarzen

Die Politisierung der amerikanischen Schwarzen in den 1960er-Jahren wurde in Europa mit Verspätung wahrgenommen, vor allem die radikale Strömung, die durch Malcolm X vorangetrieben wurde. Er entwickelte das Geschichtsbild einer schwarzen Nation in der Diaspora, die ihre amerikanische Vergangenheit, die eine der Sklaverei war, weit übersprang, indem sie ihre Wurzeln in Afrika suchte. Das Christentum, das den Weißen als Herrschaftsinstrument gedient hatte, ersetzten die Vertreter der neuen Black-Power-Bewegung durch den Islam.

Man nahm hierzulande mit einem gewissen Staunen zur Kenntnis, dass sich der Boxer Cassius Clay ab 1964 Muhammad Ali nannte. Dass er ein rebellischer Geist war und den Wehrdienst verweigerte, wusste jeder und bewunderten viele, aber mit der Namensänderung konnten die wenigsten etwas anfangen. Sie schien zu seiner Showmanship zu gehören.
Mit der Ermordung von Malcolm X 1965 verlor der afroamerikanische Islam, der in den USA schon in den 1930er-Jahren kurz aufgetaucht war, wieder an Bedeutung. Entsprechend schwierig war der Umgang mit den neuen Bezeichnungen, die sich in den schwarzen Bewegungen herausbildeten, da jede hoch symbolisch und mit politischer Bedeutung aufgeladen war.

Das Wort „Negro“ wurde zu einem Unwort, auch in der deutschen und französischen bisher gebräuchlichen Form. Es sollte verschwinden, es hieß nur mehr das N-Wort. Der stattdessen angebotene Begriff war „African-American“, was historisch höchst bedeutsam war, weil die Schwarzen zu Recht die Warenbezeichnung abschüttelten, die ihnen spanische Sklavenhändler gegeben hatten, und sie selbst ihren Namen bestimmten. Das war zu akzeptieren, auch wenn die Bezeichnung etwas sperrig klang und vor allem andere Kontinente nicht einschloss. „Black“ wurde durch das neu erwachte Selbstbewusstsein zu einer Art Markenzeichen („Black Power“, „Black Music“ et cetera), das in dem Prozess sich ändernder symbolischer Bedeutungen allerdings auch wieder infrage gestellt wurde. „Black“ ist nur die Übersetzung des spanischen „Negro“, das in Südamerika und Spanien die gängige Bezeichnung für „Neger“ ist und dort, ungeachtet der Vorgänge im Norden, niemanden zu stören scheint. In der Literatur spießte es sich. „Neger“ hatte als Wort einen historischen Platz, Bücher würden nicht umgeschrieben werden. Jean Genets „Les nègres“ (1959) wurde weiterhin unter diesem Titel aufgeführt. Jean-Marie Koltès nannte ein Theaterstück noch 1981 „Combat de nègre et de chiens“. Das wurde als ein künstlerischer Akt akzeptiert, umso mehr, als der Autor die Semantik des Wortes einbezog.

Von solchen schon wieder lang zurückliegenden Fällen abgesehen, ist das Wort „Neger“ vollkommen aus dem Gebrauch gekommen – wenn es nicht politisch Rechte gäbe, die das Wort in ihrem ideologischen Hinterhof beharrlich verwenden und blauäugig beteuern, für sie hätte es keine negative Bedeutung. Und wenn es nicht den Begriff „Mohr“ gäbe, den auf der anderen Seite die sich politisch korrekt Positionierenden in jüngster Zeit mit falschen Argumenten von seinen wohl bedenklichen, aber diesmal historisch vertretbaren Wurzeln abschneiden wollen. Lang möge die Mohren-Apotheke weiter so heißen.

Es gäbe kein Wienerisch, wenn es nicht auch zum „Neger“ seinen Beitrag geliefert hätte. Es kann mir niemand einreden, dass „i bin nega“ seinen Ursprung nicht irgendwo im Prater oder in Ottakring hatte. Der Ausdruck bedeutet, jemand sei blank, ohne Geld. Der „Negerant“ sagt nicht, er sei arm, sondern er wäre sein letztes Hemd losgeworden wie ein „Neger“ in Afrika, den er sich solidarisch ebenfalls ohne Kleidung vorstellt. Ein weiteres Beispiel für die Eingemeindung des Schwarzen im Wienerischen ist der „schwarze Murl“, der zweifellos ein kleiner Mohr ist, bei dem sich das Schwarze nicht auf die Haut, sondern auf die dichte Haarpracht bezieht. Angewandt wurde der Ausdruck, den ich oft hörte, vor allem auf Kinder und Hunde, was in der Bedeutung gleich liebevoll war.

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