Leitartikel

Das Schweigekartell der angestrengten Wegschauer

Die Herren Braun (im Bild) und Marsalek von Wirecard wurden in Regierungskanzleien und politischen Vereinen in Berlin und Wien heftigst hofiert.
Die Herren Braun (im Bild) und Marsalek von Wirecard wurden in Regierungskanzleien und politischen Vereinen in Berlin und Wien heftigst hofiert. (c) APA/dpa/Peter Kneffel
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Skandale wie Wirecard und Commerzialbank haben eines gemeinsam: fein gesponnene Polit-Netzwerke nach dem Motto „Eine Hand wäscht die andere“.

Wie kann es passieren, dass für die Bilanz erfundene 1,9 Milliarden Euro wie bei Wirecard und die wohl zu mehr als der Hälfte lediglich als Fiktion bestehende Bilanzsumme bei der burgenländischen Commerzialbank so lang unentdeckt bleiben? Es ist ja völlig undenkbar, dass einzelne Personen über viele Jahre derartige Manipulationen durchziehen, ohne dass das irgendjemandem im Unternehmen oder außerhalb desselben auffällt. Selbst der Bürolehrling in der Buchhaltung müsste da stutzig werden, wenn schon die Schlafmützen in Aufsichtsrat, Finanzmarktaufsicht und bei den Wirtschaftsprüfern versagen.

Die Antwort ist relativ einfach: Wir haben es hier mit einem inner- und außerbetrieblichen Netzwerkmechanismus zu tun, der sich wie ein roter Faden durch alle derartigen Skandale zieht: Charismatische Typen, wirtschaftlich und politisch bestens vernetzt, weben ein feines Netz von echten oder vermeintlichen Abhängigkeiten auf Basis der alten Regel „Eine Hand wäscht die andere“. Und sind dann plötzlich nicht mehr angreifbar.

Die Herren Braun und Marsalek von Wirecard etwa wurden in Regierungskanzleien und politischen Vereinen in Berlin und Wien heftigst hofiert. Wer sonnt sich nicht gern im Glanz von internationalen Börsenstars? Man spendet an Parteien und politische Freundschaftsgesellschaften, besetzt Aufsichtsräte mit politisch bestens vernetzten Freunden, bekommt im Gegenzug Sitz und Stimme in Beratungsgremien wie etwa im österreichischen Regierungs-Thinktank.

Und wenn dann Zweifel an der Integrität aufkommen, kann man sich auf den Schutz des Netzwerks verlassen: Wird dann etwa, wie bei Wirecard, über bilanzielle Unregelmäßigkeiten berichtet, dann geht die staatliche deutsche Finanzmarktaufsicht nicht etwa diesen Berichten nach, sondern verfolgt erst einmal den Berichterstatter strafrechtlich und verhängt ein Shortselling-Verbot, ohne darüber nachzudenken, wieso ausgerechnet dieses Unternehmen Shortseller (also Investoren, die sicher nicht grundlos mit eigenem Geld auf Kursverlust spekulieren) so magisch anzieht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, schauen dann staatliche Kontrolleinrichtungen und Wirtschaftsprüfer recht angestrengt weg. Der von vornherein als Abnickergremium konzipierte Aufsichtsrat sowieso.

Das gleiche Muster im Burgenland: Wer den großen Wohltäter, Fußballsponsor und Commerzialbankchef Martin Pucher kritisiert, könne gleich auswandern, raunten Mattersburger über den Exchef der Skandalbank. Ist auch klar: Die Fußballsponsorschaft sorgt für breite Unterstützung im „Volk“, die politische Vernetzung für Absicherung gegen zu neugierige Blicke auf die Geschäftsgebarung. Da finden es dann alle normal, dass die Gemeinde mit einem Kredit der Bank auf einem Grundstück investiert, das dem Bankchef gehört. Statt vorsichtshalber nach der Korruptionsstaatsanwaltschaft zu rufen.

Im günstigsten Fall führt dieser korrupte Netzwerkmechanismus zu dem, was Ex-FPÖ-Chef Strache bei seinem unfreiwilligen Ibiza-Outing so entwaffnend ehrlich erzählt hat: Vorteilskauf. Im schlimmeren Fall werden damit offensichtlich kriminelle Machenschaften wie bei Wirecard oder der Commerzbank gedeckt.

Wie man so etwas verhindert? Schwierig. Mehr Transparenz und mehr Gefühl für Korruption. Und mehr politische Verantwortung. Letztere ist freilich ein frommer Wunsch ans Christkind, solang man offenbar von Amnesie befallenen Politikern Aussagen wie, sie könnten sich an Treffen mit den von ihnen früher heftigst angehimmelten Lichtgestalten nicht mehr erinnern, durchgehen lässt.

Am ehesten ließe sich das Schweigekartell der Wegschauer mit einer institutionalisierten, unabhängigen Stelle aufbrechen, an die sich Whistleblower anonym wenden können, ohne ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Und die sich das dann auch anschaut und nicht den Überbringer der Botschaft verfolgt. Eine alte Forderung. Die Politik wird schon wissen, wieso sie die nicht umsetzt.

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