Gegengift

Für zivilen Umgang im Parlament reichen zwei rote Linien

DEPUTIES BRAWL IN THE TURKISH PARLIAMENT IN ANKARA
DEPUTIES BRAWL IN THE TURKISH PARLIAMENT IN ANKARAReuters
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Darf man bei Debatten in Hohen Häusern Junkfood essen oder in türkisen Socken am Rednerpult stehen? Es gibt ärgere Verfehlungen.

Den feingeistigen Betrachtungen eines Sektionschefs ist es zu verdanken, dass endlich wieder über das Benehmen von Parlamentariern gesprochen wird – wenn auch nur in einem auf Showeffekte angelegten U-Ausschuss. Wir Repräsentanten des Debattier-Clubs „Cicero III“ in den Hallen des Gegengifts wissen das zu schätzen. Von wem, wenn nicht von Volksvertretern, wäre die Etikette zu lernen, die selbst bei wilden Diskussionen angebracht ist?

Da wir hier in Erdberg gelegentlich zu verbalen Eruptionen neigen, dienen uns einfache Regeln der Mutter aller Unterhäuser als Vorbild, um zu vermeiden, dass Meinungsverschiedenheiten allzu körperlich werden. Das Wort erteilt bei uns so wie im House of Commons ausschließlich der Mister oder die Madam Speaker. Anwesende sind nur in der dritten Person zu erwähnen, damit der Streit nicht allzu persönlich wird. Ordnungsrufe bleiben Chefsache.

Die wichtigste Regel aber ist auf dem Parkett markiert. Zwei rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen, trennen die Kontrahenten, exakt in der Distanz zweier Schwertlängen. Man soll sich ja beim Reden (bei dem brave Leute laut einem steirischen Sprichwort zusammenkommen) nicht ernsthaft verletzen.

Diese Maßnahme ist nicht übertrieben, wie Raufhändel in Parlamenten bisher immer wieder bewiesen haben. Faustkämpfe unter Abgeordneten sind selbst in alten Hochkulturen wie Russland, Ukraine und Türkei als schlagende Argumente beliebt, während im Nahen Osten zuweilen sogar Schießereien erwogen werden. In Indien hat sich das Werfen mit Mikrofonständern eingebürgert, während Mandatare in Südkorea gern Judogriffe zur Verdeutlichung ihrer Standpunkte anwenden.

Wären in all diesen Hohen Häusern Trennlinien gezogen worden, hätte sich mancher Parteisoldat Blessuren erspart. Zwei Baseballschläger-Längen reichen heute aus, um das Gleichgewicht der demokratischen Kräfte zu sichern. Der Club „Cicero III“ sieht keine Veranlassung, eine Nuschel- oder Jausen-Regel in die Hausordnung aufzunehmen. Wenn wir zur Handsemmel mit Beinschinken greifen, dann nach der Diskussion, an der Champagnerbar auf der Dachterrasse des Feuilletons, fast schon privat.

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