Interview

Von Schuldgefühlen lernen

„Schuldgefühl ist ein stark prosoziales Gefühl. Es hält Gemeinschaften zusammen“, sagt Psychotherapeutin und Autorin Helga Kernstock-Redl.
„Schuldgefühl ist ein stark prosoziales Gefühl. Es hält Gemeinschaften zusammen“, sagt Psychotherapeutin und Autorin Helga Kernstock-Redl.Getty Images/Maskot
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Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl erklärt in ihrem jüngsten Buch, wozu wir Schuldgefühle haben und wie man sie nutzen kann. Etwa um verinnerlichte Regeln zu überdenken.

Die Presse: Schuldgefühle sind oft negativ konnotiert. Man hört oft, man soll sich davon lösen. Sie sehen das Positive daran. Was genau?

Helga Kernstock-Redl: Es ist auch ein unangenehmes Gefühl. Der Auslöser eines Schuldgefühls ist meistens das Übertreten einer verinnerlichten Regel. Ein Strafzettel wegen Schnellfahrens muss kein Schuldgefühl auslösen. Ich bin zwar schuld, habe das aber nicht in meinen persönlichen Moralcodex aufgenommen. Das Wertvolle am Schuldgefühl ist, dass wir stark motiviert sind, es zu vermeiden. U. a. deswegen halten wir uns an unsere moralischen Spielregeln, die oft in der Gruppe entstanden sind. Wir tun für andere etwas nicht nur aus Liebe oder aus Angst vor Strafe, sondern auch um Schuldgefühle zu vermeiden. Es ist ein stark prosoziales Gefühl, es hält Gemeinschaften zusammen, übrigens auch bei Primaten.

Wollten Sie mit Ihrem Buch auf die positiven Seiten des Schuldgefühls hinweisen?

Genau. Einerseits wird es nur negativ gesehen, dabei macht es gerade ehrenwerte Menschen aus, die Schuldgefühle haben. Andererseits will ich dazu motivieren, keine Angst davor zu haben, denn man kann es auch wieder ablegen. Sonst entstehen grässliche Schuldabwehr-Reflexe, also Menschen, die wie ein lebendiger Vorwurf durch die Welt gehen, nur damit sie selbst ja keine Schuld haben.

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