Milliardenskandal

Warum man Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek in Russland vermutet

Wirecard-Flüchtiger Marsalek in Russland untergetaucht
Wirecard-Flüchtiger Marsalek in Russland untergetauchtAPA/dpa/Arne Dedert
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Das offizielle Moskau will über den Aufenthalt von Wirecards Ex-Vizechef Jan Marsalek „absolut nichts“ wissen. Doch hat sich der russische Geheimdienst schon vor fünf Jahren für den untergetauchten Manager interessiert.

Seine Sympathie für Russland war vielen bekannt. Nun gibt es Hinweise, dass Jan Marsalek nach einer Zwischenstation in Belarus (Weißrussland) nach Russland geflohen ist. Wie das „Handelsblatt“ unter Bezugnahme auf Quellen in Unternehmer- und Diplomatenkreisen berichtete, könnte sich der flüchtige Ex-Manager im Moskauer Umland aufhalten. Angeblich auf einem Anwesen. Angeblich unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdientes GRU. Davor soll er erhebliche Summen aus Dubai, wo Wirecard dubiose Operationen betrieben hatte, in Form von Bitcoin abgezweigt haben.

Das offizielle Moskau dementierte. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sagte am Montag, man wisse „absolut nichts“ über den Aufenthaltsort Marsaleks. Interfax berichtete unter Berufung auf ungenannte offizielle Quellen, dass der gesuchte Manager die russische Grenze nicht überschritten habe.

Die Causa ist ein heißes Eisen: Wenn Marsalek tatsächlich in Russland ist, könnte er sich dort nicht ohne das Einverständnis der Behörden aufhalten. Die Einreise von Ausländern kontrollieren Russlands Grenzer genau. Darüber wacht der Inlandsgeheimdienst FSB. Wegen der Coronakrise sind die Grenzen für Nicht-Russen seit Ende März eigentlich dicht.

Bestätigen sich die Vermutungen – und damit das Mitmischen des FSB oder des auf Auslandseinsätze spezialisierten GRU –, so können österreichische und deutsche Ermittler kaum auf Amtshilfe der russischen Behörden hoffen. In früheren Fällen, wo es um mutmaßliche Aktivitäten des GRU ging, mauerte Moskau trotz internationalen Drucks und zeigte sich wenig kooperativ beim Informationsaustausch. So war es im Fall des Tschetschenen Selimchan Changoschwili, der im Vorjahr mitten in Berlin ermordet wurde. So war es im Fall der beiden Männer, die des Nowitschok-Attentats von Salisbury bezichtigt wurden. (Sie wurden sogar im Staats-TV interviewt.) So war es im Fall MH17.

Sicherer Unterschlupf

Sollte Marsalek, worauf die Recherchen der Investigativplattform „Bellingcat“ deuten, in einem Naheverhältnis zu russischen Geheimdiensten stehen, so gehen die Dienste sehr weit, um ihre Informanten zu schützen. Auch wenn das auf diplomatischer Ebene zu Verstimmungen führen kann.

Wie „Bellingcat“ anhand der Auswertung von Flugdaten berichtete, soll Marsalek am Tag seiner Suspendierung, dem 18. Juni 2020, von Klagenfurt nach Tallin geflogen sein. Um 19:10 Uhr Ortszeit landete eine Embraer 650 Legacy am Flughafen Minsk. Sie gehört einer Wiener Flugzeugvermietung.

Dass Marsalek im postsowjetischen Raum Unterschlupf gefunden hat, darauf deutet auch eine Aussage von ihm selbst, wie der „Spiegel“ schrieb. Einem früheren Kollegen soll er, gefragt ob er sich in politisch stabiler Umgebung aufhalte, geschrieben haben: „Ja, sind immer noch dieselben Leute am Ruder wie vor 25 Jahren.“ Genau das ist in Belarus der Fall.

Um die politische Stabilität steht es derzeit freilich weniger gut als sonst. Denn der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko hat ausgerechnet in diesen Wochen mit einer Protestbewegung zu kämpfen. Seine Wiederwahl bei der für 9. August angesetzten Präsidentenwahl könnte für ihn komplizierter werden als angenommen. Langzeitherrscher Lukaschenko reagiert unterdessen mit Repression: Führende Oppositionsköpfe wurden verhaftet oder von der Wahl ausgeschlossen. Zudem gibt es Streit über die vom Kreml geforderte stärkere Integration beider Staaten. Minsk wehrt sich gegen Moskaus Werben.

All das könnte Grund für den Transfer Marsaleks nach Moskau gewesen sein. Wenig wahrscheinlich, dass er das auf eigene Faust tun konnte. Und hier kommen seine mutmaßlichen Geheimdienst-Verbindungen und die Moskau-Connection ins Spiel.

Nach Angaben von „Bellingcat“ zeigte der FSB schon in der Vergangenheit an Marsalek besonderes Interesse. Sein Name taucht in einer Datenbank des Inlandsgeheimdienstes auf. Der FSB verfolgte Marsaleks internationale Reisebewegungen zwischen den Jahren 2015 bis 2018. Auch seine Russland-Reisen nahmen in diesem Zeitraum zu. Warum der Geheimdienst den österreichischen Manager so genau beobachtete, ist noch unklar.

Unter Beobachtung

„Bellingcat“ hält es indes für möglich, dass der FSB Marsalek als Informanten rekrutieren wollte; dass es bereits eine Zusammenarbeit gab; oder dass er Marsaleks Aktivitäten aufgrund seiner Aktivität für einen anderen Geheimdienst (eben den GRU) observierte.

Marsalek wurde im Jahr 2017 bei einem Ausreiseversuch aus Russland länger festgehalten: War das der Beginn seiner Tätigkeit? Eine längere Befragung? Oder ein Konflikt zwischen konkurrierenden Diensten? Das soll übrigens der letzte Aufenthalt des Managers in Russland gewesen sein. Zumindest offiziell.

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