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Bruderkuss vor dem Blutbad

Gangs of London
Gangs of LondonSky UK Limited
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Die Macher von „The Raid“ inszenieren „Gangs of London“ mit viel Action und zu viel Brutalität – eine Hochglanz-Mafia-Serie über eine dysfunktionale Familie. Ab 23. 7. auf Sky.

London steht Kopf. Zumindest aus der Perspektive des jungen Mannes, der an einem Seil verkehrt herum an einem in Bau befindlichen Hochhaus baumelt und auf seine Exekution wartet. Betteln hilft nichts.  Beteuerungen haben keinen Sinn. Sean Wallace hat sein Opfer längst verurteilt und fragt, bevor er ihn mit Benzin überschüttet und als lebende Fackel hinab stürzen lässt: „Was sonst könnte ich tun?“

Nun ja. Es würde einem einiges einfallen. Gnade oder auch ein ordentliches Gericht walten zu lassen, wäre eine Option. Aber Sean hat es nicht anders gelernt von seinem Vater Finn, der ihn schon als Teenager auf Menschen schießen ließ. Präziser: auf einen bis zum Hals vergrabenen Mann, dem er (in einer Rückblende) in einem innerfamiliären Initiationsritus, dem sogar seine Mutter beiwohnt, in den Kopf schießen soll. Als der Junge es nicht schafft, stülpt der Vater dem Delinquenten einen Eimer über und sagt ungerührt: „Dann schieß auf den Kübel.“

Willkommen bei den feinen Leuten, die in „Gangs of London“ die Fäden ziehen – und manchem noch ein Tässchen Tee bereiten, bevor sie ihm die Pulsadern aufschneiden. 20 Jahre lang hatte Vater Wallace als Oberboss über die aus den unterschiedlichsten Kulturen und Konflikten erwachsenen Londoner Clans das Sagen. Albaner gibt es da. Einen Pakistani, der das Geld aus den schmutzigen Geschäften für den Bürgermeister-Wahlkampf seines Sohnes braucht. Und eine Kurdin, die mit ihren mafiösen Machenschaften Geld für den Freiheitskampf ihrer Landsleute sammelt. Als Finn Wallace erschossen wird, wäre es an Sean, in der Verbrecherwelt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Doch statt sich um das Geschäft zu kümmern, schwört der Junior Rache.

Wie ein Tanz in den Tod

Gangs of London
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Dass die Macher der Serie – Gareth Evans und Matt Flannery – an brutaler Action ihre Freude haben, merkt man, wenn im Pub die Biergläser und Aschenbecher fliegen oder ein eben noch mit dem Zerlegen einer Leiche beschäftigter Hüne auf den in die Mafiafamilie eingeschleusten Undercover-Polizisten (Sole Dirisu) mit einem Fleischerbeil losgeht.

Für Evans und Flannery ist es die erste Fernsehserie. Sie haben ein Faible für Martial Arts und sind durch die „The Raid“-Filme bekannt geworden. Sie inszenieren keine normalen Kinoraufereien, sondern bis ins Kleinste ausgeklügelte Choreografien, eine Art Tanz in den Tod. Die zur Schau gestellte Brutalität wird bis zur Grenze der Erträglichkeit ausgekostet – etwa, wenn Leute reihenweise mit einem Schlachtapparat getötet werden, um sie zum Reden zu bringen.

Auch der Familienclan ist unerträglich. Seans (Joe Cole) Lobhudeleien beim Begräbnis seines Vaters klingen wehleidig. Nein, das war kein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft. Und ja, man kann sich vorstellen, dass dem alten Wallace (Colm Meaney, der Miles O'Brien aus der „Star Trek“-Serie) jemand an die Gurgel wollte. Michelle Fairley (Catelyn Stark aus „Game of Thrones“) ist die schwarze Witwe – sie macht sich die Hände nicht schmutzig, rührt aber kräftig mit um in dieser Blutsuppe. Und während man von den anderen das Einhalten eiserner Regeln erwartet, werden Seans Bruder (Brian Vernel) die (sehr stilvoll inszenierten) Sex- und Drogenpartys mit einem brüderlichen Kuss verziehen. Das Blut der Wallaces ist richtig dick. Evans und Flannery machen aus dem allen ein Hochglanz-Drama, das weitgehend inhaltsleer bleibt. Man kann sich nicht so recht für das Whodunit begeistern und kriegt das Gefühl nicht los, dass die Handlung vor allem eines soll: Das nächste Blutbad rechtfertigen.

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